Katharina Gruzei: Mir Metro

Einen atemberaubenden fotografischen Streifzug durch die Moskauer Untergrundbahn bietet Katharina Gruzei mit ihrem Fotobuch „Mir Metro“.

Ihr durchdacht gestaltetes, ja geradezu rhythmisch getaktetes Buch zeigt Aufnahmen, die zwischen 2008 und 2020 entstanden sind. Historische Fotografien in Schwarz-Weiß und glänzend geschriebene Essays zur Baugeschichte und zum utopischen Potential der Metro in der früheren Sowjetunion begleiten die Farbbilder. Ihre Fülle ist überwältigend, wir bewegen uns mit ihnen durch die Architekturgeschichte der Stationen und Pavillons, die vom Pomp bei Material und Ausstattung zur Stalinzeit über zurückhaltende Ornamentik bis hin zu kühnen Deckenkonstruktionen reicht.

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Aus Berlin: Neue Architekturfotografie

Berlin im 20. Jahrhundert, Kulminationspunkt deutscher wie europäischer Geschichte, stand nach der Wende im Fokus divergierender wirtschaftlicher Interessen und fluktuierenden Lebensformen. Aus der Mauerstadt, in der sich auch mit wenig Geld leben ließ, wird die immer teurer und schicker werdende Hauptstadt, die Bewohner müssen sich zwischen alter und neuer Stadtrealität zurecht finden. Den theatralisch gestimmten Auftakt des Fotobandes „Berlin Raum Radar“ setzt Andreas Mühe. Man sieht, als befände man sich mental in ungebrochen patriarchalischen Zeiten, die angestrahlten Rückenfiguren von festlich gekleidetem Herrn und blonder Dame, die vor einem transparenten Balkongeländer die Aussicht auf Fernsehturm und Kuppel genießen: „Heiner und seine Frau“, 2008 lautet die Bildunterschrift. Um was für einen Heiner mag es sich hier handeln, der hier so programmatisch und doch anonym am Anfang des Buches ins Bild gesetzt wird? Heiner Bastian liest man in einer anderen Bildunterschrift bei der Netzrecherche: Hier steht also der wegen seiner Sammlungs- und Leihpolitik umstrittene Kunstsammler mit Celine Bastian auf dem Dach seines Kunst-Hauses am Kupfergrabendamm und schaut auf die Museumsinsel hinüber?

Friederike von Rauch: Philharmonie 2

Solche Feinheiten werden uns im Buch zur gleichnamigen Ausstellung mit seinem ansonsten sehr schönen und überzeugenden Parcours von 34 FotografInnen leider vorenthalten oder als bekannt vorausgesetzt. Weiterlesen

Die feinen Unterschiede: Architektonische Zeugen der Ost-Moderne zwischen Totsanierung und sorgsamer Archivierung

Über Jahrzehnte hinweg galten die architektonischen Zeugen der Ostmoderne hinsichtlich ihres ästhetischen Anspruchs als eintönig und trist. Das Interesse an ihnen erwachte spät. Heute scheint das gewichtigste Argument für den Erhalt der Bauten ihr drohendes Verschwinden zu sein.

Architektonische Relikte der Schwerindustrie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts erfahren im Westen als „Anonyme Skulpturen“ in den letzten Jahrzehnten Anerkennung und Pflege. Sie halten vor Ort die Erinnerung an untergegangene Produktionsformen und die funktionale Vielfalt von Industriebauten wach, mit denen man im laufenden Betrieb in erster Linie Schwerarbeit und Umweltverschmutzung verband. Fotografen wie Bernd und Hilla Becher waren es, die im großen Maßstab, mit langem Atem und systematischem Vorgehen das Auge schulten. Auch nüchterne Zweckbauten, so lernte man beim Vergleichen ihrer zu Tableaus angeordneten Bildfolgen, unterscheiden sich in ihren gestalterischen, funktions- und standortbedingten Varianten. Trotz dieser Vorschule der Aufmerksamkeit scheint sich auch im Fall der Ostmoderne zu wiederholen, was mit der lange ausgebliebenen, schließlich aber doch einsetzenden Wertschätzung für die Industriedenkmäler, einen Vorläufer fand. Recht verspätet, Weiterlesen

Dialog der Bauwerke, Einsamkeit der Nutzer

Die zeitgenössische Architekturfotografie kennt ganz unterschiedliche Positionen
Architekturfotografie begnügt sich nicht mit der präzis erfassten Wiedergabe der Anatomie eines Gebäudes. Die Standpunkte reichen vom praxisorientierten Zugang über Freiräume der Imagination bis hin zum Augenmerk auf Rückbau und Absurdität entfesselter Bautätigkeit.

«Offenbar schlug ein kühner Architekt vor, als Brest nach dem Krieg in Ruinen lag, wo man schon alles neu bauen müsse, da sollten doch alle Einwohner das Meer sehen können: Man könne doch die Stadt im Halbkreis wieder aufbauen, nach hinten immer höhere Häuser, die Stadt bis an den Rand der Strände gezogen.» So setzt Tanguy Viels 2009 erschienener Roman «Paris-Brest» ein. Statt der Freigabe des Blicks und der Aufkündigung sozial differenzierender Höhenunterschiede sei es zu einem Wiederaufbau gekommen, der die Hafenstadt «kubisch und abgeplattet» erscheinen lasse «wie eine aztekische Pyramide abgeschnitten mit einem horizontalen Sensenhieb». Solch literarische Architekturkritik, die mit einprägsamen visuellen Bildern arbeitet, rüttelt an dem, was Architektur und Architekturfotografie im gelungenen Fall materiell und immateriell in Aussicht stellen: Freude am Ausblick, eine soziale Perspektive, die Reminiszenz an tradierte geometrische Formen, die aber auch wie hier zum Nachteil für die städtische Situation gegen den Strich gebürstet werden können.
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Reiz der Peripherie

Die Erkundung der Banalität anderswo. Landschaftswandel im Focus der Fotografie

Etwas zu sehen, was nicht im Reiseprospekt zu finden ist, lehrt die Landschaftsfotografie. Nicht nur unberühte Regionen, auch Industriezonen und auf offiziellen Karten nicht Verzeichnetes gerät so in den Blick.

Botschaften, die nur von oben zu sehen sind, ausgesandt vom Künstlerduo Remotewords: «Was bleibt ist die Zukunft», heisst es auf einem Dach der Zeche Lohberg Dinslaken.

Einmal angenommen, man wüsste nichts mehr von den Lebensumständen, in denen sich Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts befunden haben, nichts über die Orte und Landschaften, die sie bewirtschaftet, durchfahren und nach Gebrauch sich selbst überlassen haben. Man hätte, wie ein Archäologe, nur ihre Hinterlassenschaften vor sich und sollte jetzt Aussagen über Mentalitäten und Kultur treffen? Oder man hätte nichts als ein Bündel von Fotografien, die von einer Zeit und einem Ort als einzige Zeugen übriggeblieben sind. Das wäre eine ähnliche Situation, wie sie Godard in seinem Film „Les Carabiniers“ in den Sechziger Jahren durchgespielt hat. Zwei arme Männer vom Land zogen in den Krieg, um die Welt zu erobern, sie schossen und fotografierten. Nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg legen sie tatsächlich ihren Frauen, wie verspochen, das Erbeutete zu Füßen – in Form eines Koffers, vollgestopft mit Fotografien: Bauwerke und Gegenstände, alles ist darauf zu sehen. Aber eben nur zu sehen und nicht mit Händen zu greifen: Die Frauen haben wenig Freude daran. Und wären im Nachhinein vieleicht doch lieber selbst in die Welt hinausgezogen.

Bilder als Mahnungen
Heute ist das anders: Was man auf Fotografien zu sehen bekommt, die sich seit den Siebziger Jahren mit der banalen Peripherie, vernachlässigten Gebieten, verbauter Landschaft beschäftigen, das möchte man nicht unbedingt aus der Nähe sehen. Die Bilder dienen eher zur Mahnung und zeigen, was an Bausünden und Nachlässigkeiten schon alles begangen worden ist und wie die Welt einmal aussehen wird, wenn es so weitergeht wie bisher. Weiterlesen

Tief im Waldesinnern: Yann Mingards Fotoband „Repaires“

Wie nähert man sich als Europäer dem Wald, wenn er nicht als Naherholungsgebiet erkundet und durch ein Wegenetz erschlossen ist, sondern noch geradezu unberührt vor einem zu liegen scheint? Und worin liegt sein Versprechen? Woran rührt dieser Lebensraum, der dem Städter heute eher als bedrohtes Rückzugsgebiet erscheint denn als einmal fruchtbar sich erneuernde Vegetationsform Mitteleuropas?

Scheu und Forschungsgeist sind neben der einsetzenden Dämmerung, die der Fotograf auf seinen Farbaufnahmen einfängt, die beiden Begleiter, die einem beim Betrachten von Yann Mingards Fotobuch  „Repaires“ (Hatje Cantz) zur Seite stehen. Man wird still, als lausche man den Geräuschen der Waldtiere, dem Rascheln der Blätter, wenn man Seite für Seite, Blatt für Blatt tiefer in das Innere des Waldes geführt wird. Weiterlesen

Ein Foto-Querschnitt durchs heutige China: Menschen und ihre Arbeit

Eine steinalte Frau mit schönem Haar sitzt in ihrer Uniform an einem Tisch als wäre es eine Amtsstube, sie ist die letzte Überlebende des Langen Marschs und wohnt in einem Altenheim für Veteranen der Roten Armee. Eine wettergegerbte buddhistische Nonne, im handgewebten, schmutzigen Kleid blickt auf einen Stock gestützt den Betrachter wie aus weiter Ferne an. Einige Seiten weiter sieht man ein junges Mädchen im internationalen Girlie-Outfit, nicht ganz so schrill wie die jungen Japanerinnen, eher westlich, sie versucht gefährlich erfahren auszuschauen. Die Menschen in Chinas Metropolen haben in den letzten Jahrzehnten gewaltige Umbrüche in der Lebensweise erfahren, aber in abgelegenen Tälern findet man auch noch Bauern, die ihre Felder mit Wasserbüffeln und selbstgemachten Dreschflegeln wie ihre Vorfahren bewirtschaften.
Der bemerkenswerte Band „China“ von Mathias Braschler und Monika Fischer zeigt mit großem Ernst die ganze Spannweite der Lebensformen. Die Schweizer Fotografen reisten, begleitet von ihrem Fahrer, Assistenten und Dolmetscher Fu Yuan, sieben Monate quer durch das Land. Sehr lange Fahrzeiten, schwierige Organisation und pro Tag ein Porträt von Zufallsbegegnungen, die Fu Yuan zum Mitmachen bewegte, hatten sich die beiden vorgenommen. Weiterlesen

Das Phantom des Palastes

Bausperrzäune im Inneren der Räume des „Palastes der Republik“, ein beiseite gerückter Stuhl, die Spuren der Abbrucharbeiten: Betrachtet man die Fotodokumentation des Fotografen Christian von Steffelin über den aufgelassenen, zeitweilig umgenutzten, asbestsanierten, entbeinten und schließlich abgerissenen „Palast der Republik“ der gewesenen Hauptstadt der untergegangenen DDR, so ist es zeitweilig als schaute man in den aufgelassenen Fundus eines Theaters. „Erichs Lampenladen“ wie der Palast aufgrund der Unmengen von ballonförmigen Lampen im Inneren genannt wurde, wirkt aus heutiger Perspektive tatsächlich wie eine Mischung aus realsozialistischem Kaufhaus – es gab Rolltreppen und klein gemusterte Teppichböden – und Inszenierung dessen, was man in der DDR der Siebziger Jahre für fortschrittlich hielt. Manches verströmt den Charme älterer Sciencefiction Filme, zwischen Kitsch und Formwillen, mal futuristisch, mal zum Fürchten bieder.
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André Kertész

7Der aus Ungarn stammende Fotograf André Kertész (1894-1985) hat unbeirrbar das fotografiert, was ihn interessierte und ausschließlich so, wie er es künstlerisch für richtig hielt. Erst das ländliche Ungarn, dann Paris und New York. Der vorliegende Katalog ist als Monografie zu Leben und Werk gestaltet.

Der kleine Ernest steht in kurzen wollenen Hosen, Stiefelchen und schwarzem Kittel selbstbewusst und ein wenig verträumt neben seiner Schulbank, ein blinder Geiger begleitet von einem barfüßigen Jungen spielt irgendwo auf einer nicht asphaltierten Dorfstraße in Ungarn auf, ein Junge in zu großen Kleidern hält sich zärtlich einen Welpen an die Wange – André Kertész fotografierte seine Umgebung in einer präzisen und zugleich berührenden Formensprache.

Sein Werk gibt in luzider Klarheit Zeugnis von seiner Umgebung, erst des ländlichen Ungarn, dann des Paris Mitte der 20er und 30er-Jahre. Jahrzehnte verbringt er in New York, einer Stadt, mit der er nie richtig heimisch wird und die er am liebsten aus der Distanz, von oben betrachtet: die Schatten der Passanten vor seinem Fenster, Schornsteine, die Geometrie der Fassaden. Weiterlesen

Blickwechsel – Zeitgenössische iranische Fotografie

15In der iranischen Gesellschaft kommt dem Blick eine besondere Bedeutung für die Kommunikation zu. Eine neue Generation von Fotografen interpretiert diesen auf ganze eigene Weise.

Vier junge Leute, ein schwarz gekleideter Mann und drei Frauen im Tschador, fahren gemeinsam auf einem viersitzigen Motorroller über Land. Die beiden Frauen in der Mitte sieht man als dunkle Silhouetten, nur eine hellhäutige, feine Hand hat eine Falte im Gewand der vorderen Beifahrerin ergriffen. Die Frau ganz hinten schaut direkt, aber ernst dem Betrachter entgegen, indes das Blickfeld des Fahrers in Fahrtrichtung vom Rahmen eines kleinen Sichtfensters im Windschutz bestimmt wird. Mit dieser Schwarz-Weiss-Fotografie von Abbas setzt das Buch „Iranian Photography Now“ (Hatje Cantz, 2008) ein. Die Aufnahme könnte programmatisch die Ouvertüre zu einem Blickwechsel bilden, den diese Auswahl von Arbeiten iranischer Fotografen einläuten möchte. Denn dem Blick komme in der iranischen Gesellschaft eine besondere Funktion zu, schreibt die Herausgeberin Rose Issa im Vorwort, die Menschen kommunizierten vorwiegend mit den Augen. Es ist eine hoch entwickelte, raffinierte Blicksprache, in deren Dienst jetzt die Fotografie steht. 189 Werke von 10 Frauen und 26 Männern hat Issa zusammengestellt, ein durchaus passables Geschlechterverhältnis. Diese Fotografien von Künstlern, die im Iran oder im Ausland leben, sind hoch reflektiert, was den eigenen Standort und die sich durchdringenden Bilderkulturen angeht: Zueinander finden die persische Bildtradition, Bruchstücke der globalisierten Bildsprache der Medien, eine grosse Liebe für im Verschwinden begriffene Sozialräume des Landes sowie ein Witz, der dem westlichen Betrachter oft erst durch die Statements und Kommentare der Fotografen nähergebracht wird.
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