Das Phantom des Palastes

Bausperrzäune im Inneren der Räume des „Palastes der Republik“, ein beiseite gerückter Stuhl, die Spuren der Abbrucharbeiten: Betrachtet man die Fotodokumentation des Fotografen Christian von Steffelin über den aufgelassenen, zeitweilig umgenutzten, asbestsanierten, entbeinten und schließlich abgerissenen „Palast der Republik“ der gewesenen Hauptstadt der untergegangenen DDR, so ist es zeitweilig als schaute man in den aufgelassenen Fundus eines Theaters. „Erichs Lampenladen“ wie der Palast aufgrund der Unmengen von ballonförmigen Lampen im Inneren genannt wurde, wirkt aus heutiger Perspektive tatsächlich wie eine Mischung aus realsozialistischem Kaufhaus – es gab Rolltreppen und klein gemusterte Teppichböden – und Inszenierung dessen, was man in der DDR der Siebziger Jahre für fortschrittlich hielt. Manches verströmt den Charme älterer Sciencefiction Filme, zwischen Kitsch und Formwillen, mal futuristisch, mal zum Fürchten bieder.

Christian von Steffelin


Christian von Steffelins sorgfältig komponiertes Fotobuch nutzt die Möglichkeiten, der fortlaufenden fotografischen Präsentation in Buchform: Die verschiedenen Phasen von Leerstand, Umnutzung und Verschrottung – das Fotoprojekt erstreckt sich über den Zeitraum von 1994-2010 – zeigen den Umgang mit den Räumen kürzlich vergangener Geschichte, die, nicht musealisiert oder neu bespielt werden sollten, sondern erst dem Verfall, dann der Abrissbirne überlassen wurden. Der umstrittene Repräsentationsbau einer verschwunden politischen Epoche wird im Wechsel der Jahreszeiten und im Fortschreiten der Abbrucharbeiten mehrfach als Panorama-Ansicht präsentiert und jeweils einer seitenfüllenden Aufnahme gegenübergestellt, die Teppichboden, Betonwände, Holzvertäfelung, Metallplatten in ihrer materiellen, fast taktilen Qualität dem Auge nahe bringt. Kleinformatige historische Innenansichten –

Christian von Steffelin

Format, Anordnung und Farbe erinnern an den Blick in ein Aquarium – werden den nunmehr verlassenen Räumen gegenübergestellt. Sie zeigen vormaliges gesellschaftliches Leben im Palast. So wird der Betrachter auf eine Zeitreise mitgenommen, die der im tiefsten Westen 1963 geborene Fotograf in ihrer ganzen Ambivalenz empfunden haben mag, als er über Wochen hinweg allein mit seiner Kamera und einem mühsam erworbenen staatlichen Auftrag, die Räume kurz vor der Asbestsanierung doch noch betreten und dokumentieren durfte. „Merkwürdig positioniert zwischen Zeughaus, Museumsinsel, Berliner Dom, Nicolaiviertel und Schinkelplatz“ hielt er „tapfer die postsozialistische Stellung“, so beschreibt Christian von Steffelin die Flaggschiffposition des Palastes.

Christian von Steffelin


Knut Ebeling geht indes im Vorwort der Frage nach, welche Erinnerungskultur in Deutschland gepflegt wird, wenn man die baulichen Zeugnisse der jüngsten Vergangenheit dem Erdboden gleichmacht, um eines Phantoms willen, dem geplanten, dann aber doch wieder verschobenen Wiederaufbau des Preußenschlosses.
Manfred Schmalriede, der das Nachwort beisteuert, versucht das Schicksal des Palastes während der sechs Jahre zwischen Leerstand und Abriss parallelzuführen mit der ästhetischen Arbeit des Fotografen in seiner Langzeitstudie und sieht darin eine Art Kapitel aus dem fotografischen Lehrbuch aufgeschlagen: In einer ersten Phase, den Aufnahmen der verlassenen Räume, werden die Spuren des Verschwindens eingefangen.

Christian von Steffelin

Im Fortschreiten des Rückbaus dann, als von den Räumen nur noch das Stahlgerüst stehen geblieben ist, solchermaßen „anonym gewordene Architektur“, setze in der geometrischen Komposition und Stilisierung, die „typische fotografische Transformation“ ein: So entstünden „Bilder, die auf die Wirklichkeit bezogen sind, ohne sie direkt darzustellen“.

Christian von Steffelin erzählt auch selbst die Geschichte seiner Dokumentation. Das ist launig und ergreifend zugleich und wie „Herr Berlin“, der zuständige Beamte, der streng und gesetztestreu über den Zugang zum Abbruchbau wachte, dann doch noch eine Lösung für den Fotografen fand, liest sich fast wie eine Geschichte fürs Schatzkästchen des preußischen Hausfreundes.

Christian von Steffelin: Palast der Republik. (1994-2010). Texte von Knut Ebeling, Manfred Schmalriede, Christian von Steffelin. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011, 247 S., 258 Abb., 39.80 €
zuerst erschienen: Süddeutsche Zeitung 22.09.211
Ich danke dem Fotografen für die Erlaubnis seine Fotografien zu veröffentlichen.