Claudia Fritz: Gerahmte Transparenz

Temporäre Einblicke in fremde Welten können unverhoffte Glücksmomente verschaffen, flüchtig wie ein Schattenwurf, der sich auf einer Häuserwand abzeichnet, die Spiegelung einer Straßenszene in einer Fensterscheibe, der Anblick von ruhend ausgestreckten Beinen in Strumpfhosen, deren Rippenmuster mit den breiten Stufen einer Treppenanlage korrespondiert.

In ihren gebauten Proportionen bietet gerade die moderne Stadt mit gelenkten Verkehrsströmen, öffentlichen Parks, Geländern und Brüstungen, aber auch mit Durchsichten zwischen Hochhäusern und Bürotürmen, ein Raster von geometrischen Strukturen, deren Anblick sich je nach Position des Betrachters ein wenig verschieben mag. Mit Leben erfüllen Bewohner und Passanten die bereit gestellte Infrastruktur: Sie folgen den architektonischen Vorgaben verdrossen, zerstreut oder ausgelassen. Oft aber bespielen sie die gebaute Welt doch ganz anders als ursprünglich vorgesehen. Jahreszeiten und Lebenssituation spielen dabei eine Rolle: Regenwetter oder die erste Frühlingssonne setzen ein anderes Licht, städtische Brachen entstehen, junge Studenten bewohnen öffentliche Plätze ungezwungener als vom Alltag zermürbte Berufstätige.

© Claudia Fritz: Urbanfictions-1

Dieses urbane Kräftespiel ordnend ins Bild zu setzen, bedarf es gleichermaßen einer Kamera, die das pulsierende Geschehen im Zweidimensionalen des Bildes für unser Auge plausibel zurecht rückt, wie eines analytischen, ja ethnologischen Blickes, der das Zusammenwirken von Architektur und Bewohnern als Ausdruck eines spezifisch-zeitgenössischen Lebensgefühls zu begreifen sucht. Weiterlesen

Die feinen Unterschiede: Architektonische Zeugen der Ost-Moderne zwischen Totsanierung und sorgsamer Archivierung

Über Jahrzehnte hinweg galten die architektonischen Zeugen der Ostmoderne hinsichtlich ihres ästhetischen Anspruchs als eintönig und trist. Das Interesse an ihnen erwachte spät. Heute scheint das gewichtigste Argument für den Erhalt der Bauten ihr drohendes Verschwinden zu sein.

Architektonische Relikte der Schwerindustrie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts erfahren im Westen als „Anonyme Skulpturen“ in den letzten Jahrzehnten Anerkennung und Pflege. Sie halten vor Ort die Erinnerung an untergegangene Produktionsformen und die funktionale Vielfalt von Industriebauten wach, mit denen man im laufenden Betrieb in erster Linie Schwerarbeit und Umweltverschmutzung verband. Fotografen wie Bernd und Hilla Becher waren es, die im großen Maßstab, mit langem Atem und systematischem Vorgehen das Auge schulten. Auch nüchterne Zweckbauten, so lernte man beim Vergleichen ihrer zu Tableaus angeordneten Bildfolgen, unterscheiden sich in ihren gestalterischen, funktions- und standortbedingten Varianten. Trotz dieser Vorschule der Aufmerksamkeit scheint sich auch im Fall der Ostmoderne zu wiederholen, was mit der lange ausgebliebenen, schließlich aber doch einsetzenden Wertschätzung für die Industriedenkmäler, einen Vorläufer fand. Recht verspätet, Weiterlesen