In der iranischen Gesellschaft kommt dem Blick eine besondere Bedeutung für die Kommunikation zu. Eine neue Generation von Fotografen interpretiert diesen auf ganze eigene Weise.
Vier junge Leute, ein schwarz gekleideter Mann und drei Frauen im Tschador, fahren gemeinsam auf einem viersitzigen Motorroller über Land. Die beiden Frauen in der Mitte sieht man als dunkle Silhouetten, nur eine hellhäutige, feine Hand hat eine Falte im Gewand der vorderen Beifahrerin ergriffen. Die Frau ganz hinten schaut direkt, aber ernst dem Betrachter entgegen, indes das Blickfeld des Fahrers in Fahrtrichtung vom Rahmen eines kleinen Sichtfensters im Windschutz bestimmt wird. Mit dieser Schwarz-Weiss-Fotografie von Abbas setzt das Buch „Iranian Photography Now“ (Hatje Cantz, 2008) ein. Die Aufnahme könnte programmatisch die Ouvertüre zu einem Blickwechsel bilden, den diese Auswahl von Arbeiten iranischer Fotografen einläuten möchte. Denn dem Blick komme in der iranischen Gesellschaft eine besondere Funktion zu, schreibt die Herausgeberin Rose Issa im Vorwort, die Menschen kommunizierten vorwiegend mit den Augen. Es ist eine hoch entwickelte, raffinierte Blicksprache, in deren Dienst jetzt die Fotografie steht. 189 Werke von 10 Frauen und 26 Männern hat Issa zusammengestellt, ein durchaus passables Geschlechterverhältnis. Diese Fotografien von Künstlern, die im Iran oder im Ausland leben, sind hoch reflektiert, was den eigenen Standort und die sich durchdringenden Bilderkulturen angeht: Zueinander finden die persische Bildtradition, Bruchstücke der globalisierten Bildsprache der Medien, eine grosse Liebe für im Verschwinden begriffene Sozialräume des Landes sowie ein Witz, der dem westlichen Betrachter oft erst durch die Statements und Kommentare der Fotografen nähergebracht wird.
Zwischen Ahnenschrein und Selbstironie
Die Fotografien von Omid Salehi, dessen Grossvater ein Eisenwarengeschäft betrieb, zeigen die Auslagen kleiner, überfüllter Läden in den Bazaren von Teheran und Shiraz, die vom Vater auf den Sohn übergegangen sind. Zwischen den Waren sind Fotos der Väter zum Gedenken aufgestellt. Der Laden wird zum Ahnenschrein, selbst wenn das Sortiment sich der heutigen Zeit angepasst hat und nicht nur Teppiche und Handgefertigtes, sondern auch westliche Industrieprodukte und Massenhaushaltsware umfasst. Die sorgfältige Anordnung der Dinge, Stoffe und Ornamente, wie sie in einfachen Wohnungen auf dem Land noch zu finden sind, zeigt laut Gohar Dashti eine grosse Verbundenheit zwischen den Menschen und den Gegenständen des täglichen Gebrauchs: „There is a deep affinity between the owners of these houses and the way they arrange their belongings. They are of the same nature.“ Eine ironische Variante dieser scheinbaren Verschmelzung von Menschen mit ihren Habseligkeiten findet sich bei Shadi Ghadirian. In ihrer Serie „Like Every Day“ werden bunt bedruckte Stoffe wie Silhouetten eines Tschadors arrangiert, anstelle des Gesichts ist ein banaler Haushaltsgegenstand zu sehen. Hier überrascht der lakonische Kommentar der Fotografin: Im Iran würden nur wenige Frauen alleine leben, sodass die einzige Zeit, in der sie mit eintönigen Routinearbeiten im Haushalt konfrontiert seien, die Zeit der Ehe sei. Ausgelassen, aber durchaus gesittet tanzende oder auch ungezwungen parlierende Partygäste zeigt Amirali Ghasemi. Wie bei Schaufensterpuppen aus Styropor sind alle unbedeckten Körperteile, Gesicht, Arme und Beine weiss ausgespart. Haare, lackierte Fingernägel und Schmuck aber bleiben zu sehen. Der westliche Betrachter ist versucht, das politisch zu deuten. Ghasemi möchte die hedonistische Partysubkultur des jungen, intellektuellen Teheran im Internet zeigen. Die symbolische Lektüre, zu der seine Bilder einladen, ist allerdings eine zwiespältige Angelegenheit. Obwohl er versucht, die Bilder vor Manipulation und Identifizierung zu schützen, werden sie sehr unterschiedlich interpretiert und mit Themen wie Zensur, Frauenrechtsbewegung, Hijab (den Kleidungsvorschriften für islamische Frauen) und Islam assoziiert.
Andere Fotografien zeigen das Leid, das der achtjährige Krieg mit Irak über das Land gebracht hat: einsame, verlorene Menschen. Dennoch versucht die Bildauswahl, den reduzierten Blick auf das Land zu unterlaufen. Bei allen Problemen mit Kriegsfolgen, der Gesellschaftsordnung und kulturellen Differenzen zwischen Modernisierung und religiöser Rigidität gilt es, die Imagination und die kommunikative Wirkung der ästhetischen Aussage zu forcieren: Die Serie „The Swanrider“ der lange Zeit in Frankfurt lebenden Iranerin Parastou Forouhar, aufgenommen in einem deutschen Kurort, zeigt eine Frau mit Tschador auf einem Tretboot, das die Form eines Schwans hat. In seinem Schwarz-Weiss-Kontrast und seinem Spiel mit den Symbolwelten gehört es zu den herausragenden Bildern dieses Buchs.
Eine geradezu mythische Kraft entfaltet eine Serie von Jalal Sepehr, „Water and Persian Rugs“. Ein Mann läuft, eingehüllt in einen fein geknüpften Bodenteppich, am Strand entlang, ein anderer sitzt am Ende eines Stegs, der konisch aufs türkisfarbene Meer zuläuft, und schaut mit dem Rücken zum Betrachter hinaus. Neben ihm steht ein Gegenstand, der ein Koffer sein könnte. Auf dem Steg sind fünf prächtige grosse Teppiche aufgereiht. Sie führen wie die Stufen eines Palastes zu seinem Platz am Meer: Der Fliegende Teppich aus „Tausendundeine Nacht“ geht mit dem anderen Element, dem Wasser, eine traumhafte Verbindung ein.
Iranian Photography now. Edited by Rose Issa. Ostfildern 2008
zuerst erschienen: DU. Das Kulturmagazin Heft 793, Februar 2009