Die Flucht der Mutter vor dem Einmarsch der Russen aus Pommern, unterwegs mit dem sechs Monate alten Baby, das sie selbst einmal war, ist Gegenstand von Rosemarie Zens‘ behutsamer, ebenso bewegender wie ästhetisch und intellektuell hochreflektierter Erinnerungsarbeit. Spät und behutsam, ja fast scheu, gegenüber dem, was sich in einer unzugänglichen Schicht des Gedächtnisses verborgen hält, begibt sie sich mit der Kamera und den Jahrzehnte später niedergeschriebenen Aufzeichnungen der Mutter auf die Wege ihrer frühesten Kindheit ins heutige Polen. Kann man unbewusst bleibenden Erinnerungen eine visuelle Form geben, die sie zur eigenen Geschichte verdichten?
Zunächst sind es zugige Winde, Gerüche, ein blitzschnell auftauchendes Unbehagen beim Justieren der Bild-Koordinaten: „Mit der Kamera hielt ich fest, was meine Aufmerksamkeit erregte. In der Morgen- und Abenddämmerung die Nebelstreifen, die sich erhoben und wieder senkten. Am helllichten Tag die Weite der Wiesen, die Wege ins Unbekannte. Die Anmutung von Freiheit, Stillstand und Verlorenheit. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, was ich zunächst übersehen hatte: wie Gewaltsames aufbricht, wie leicht die Bilder ins Bedrohliche kippen“. Ein Satz der Mutter, mit dem die erste Foto-Sequenz anhebt, beschreibt das Existentielle der Situation: „Wo sollte ich jetzt, mitten in der Landschaft hin?“ Es ist eine frühe, elementare Bedrohung, wie sie in Grimmschen Märchen aufscheint. Und so begegnen wir auch in vielen Bildern einer verwunschenen, farblich zurückgenommenen Feenlandschaft, einem Gespinst aus Schilf, Spinnenweben, nebelverhangenen Wiesen, verfallenden Häusern inmitten von Brennesseln. Weiterlesen