Ausstellung Thomas Kellner „Sights“ vom 28.9.24 – 12.1.25 Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

Hervorgehoben

Meine Rede zur Austellungseröffnung

Meine Damen und Herren,
Thomas Kellner, dessen Werk hier in verschiedenen Phasen und Bereichen seines Schaffens ausgestellt ist, bezeichnet sich ganz bewusst als Fotokünstler. Ein Künstler, unabhängig davon, mit welchem Material er hantiert, eröffnet seinen Betrachtern eine neue und einzigartige Sicht auf die Welt, und damit auch auf sich selbst. Wir verändern uns mit jedem Bild, das wir mit allen Sinnen in uns aufnehmen, auf das wir uns einlassen, vor dem wir hin und her gehen, das uns mit seinem Flügelschlag geistig berührt, auch ein kleines Stück weit selbst. Gewiss nicht viel, eher unmerklich und in kleinen Schritten, es sei denn, ein Bild lässt uns sehr lange nicht mehr los. Oder wie es die amerikanische Bildhauerin Anne Truitt angesichts eines Farbfeld-Bildes von Barnett Newman formuliert, man kann sich beim Anblick eines solchen Bildes dann endlich einmal dem Gefühl überlassen, nicht mehr als genau das zu brauchen, was das Bild einem als Selbst- und zugleich Weltverständnis schenkt: „‘Genug’, war mein strahlendes Gefühl, einmal in meinem Leben genug Raum, genügend Farbe. Es schien mir, als sei ich noch nie zuvor frei gewesen. Selbst das Laufen auf freiem Feld hatte mir nicht jenes Gefühl schwereloser Glückseligkeit vermittelt“, so Anne Truitt.
Ähnlich mag es einem beim Betrachten von Thomas Kellners Bild des Grand Canyon in Raum 7 ergehen. Aufnahmetechnik und Bildkomposition erzeugen auf mehr als 4 m Länge eine Tiefenwirkung, die, so Thomas Kellner, fast schwindelerregender erscheint, als wenn man selbst dort stünde und vom Plateau-Rand aus, das Naturschauspiel auf sich wirken lässt. Das ist kein Wunder, denn es handelt sich um 2160 Detailaufnahmen, die wir hier auf einem Bild zu sehen bekommen.

Die Gemälde von Karl Kunz

Rede zur Ausstellungseröffnung Karl Kunz „Im Frauenhaus“ 8. März 2023, Kühlhaus Berlin

Vorhang auf für die Fantasie! Und dann hereinspaziert in das Welttheater von Karl Kunz und nicht nur gestaunt ob der fulminanten Malkünste, der Komposition und der Balance der Bilder, sondern mitgespielt. Und zwar jetzt einmal ohne Bedenken, ob man das heute noch darf oder nicht. Im Spiel ist viel, ja fast alles erlaubt, noch immer.

Karl Kunz „Der Altar“ 1963 Öl auf Hartfaser 122,5 x 122,5 cm Werkverzeichnis Nr. 418

Viele der hier gezeigten Gemälde von Karl Kunz spielen in Innenräumen. Sie öffnen sich zum Betrachter hin und ziehen uns in den Raum hinein. Selten sind diese Räume den Regeln der Zentralperspektive unterworfen, so haben wir oft das Gefühl, nicht nur mit den Augen, sondern weit mehr mit unserem Gleichgewichtssinn ein Bild zu erfassen. Da die Augen nicht Schritt für Schritt durch die Bildkonstruktion in eine vermeintliche Tiefe geführt werden, geraten wir ein wenig ins Taumeln ob der vielen Möglichkeiten des Hin und Herspringens, ja Vexierens. Aber bald schwingen wir uns ein: Die sorgsam austarierte Bildfläche der Kunzschen Bildtafeln gibt uns Halt, so wie ihn uns jahrhundertelang die Zentralperspektive bot. Nun können wir unbesorgt loslassen und schauen, hin und her schweifend und doch wohlbehalten, aufgefangen vom dicht geknüpften Netz der Bildkomposition.

Artisten und besonders Jongleure haben es Karl Kunz angetan. Die Welt des Zirkus bedeutete einen Gegenentwurf zum streng katholischen Milieu, in dem der Junge in Augsburg aufwuchs, einen Gegenentwurf voller Versprechen, Nervenkitzel und Körperbeherrschung, die Gefahr des jähen Absturzes inbegriffen: Die Artisten verkörpern eine scheinbare Schwerelosigkeit, die man nur durch stetiges Üben und strenge Selbstdisziplin erreichen kann. Ähnlich wie die bewunderten Artisten, verfuhr später der Maler in seinen Werkprozessen: Malte er einmal an einem Bild, das ihn vor eine besonders schwierige Aufgabe stellte, arbeitete er obsessiv und ohne Ruhepausen die Nacht hindurch, bis er im Bild oder einem ausgewählten Bildausschnitt die nötige Stringenz der Form erreicht hatte. Und die selbstgesetzten Maßstäbe waren hoch.

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Ausstellung von Thomas Kellner in der Art-Galerie in Siegen

Online gehaltene Rede zur Ausstellungs-Eröffnung am 14.02.2021:

Ich begrüße Sie zur Ausstellung von Thomas Kellner in der Art-Galerie in Siegen, der Stadt in der Thomas Kellner seit Jahrzehnten lebt und arbeitet.

Wer mit Leib und Seele in der Geschichte der Fotografie zuhause ist, wird sich nicht wirklich darüber wundern, weshalb Thomas Kellner, gerade in Siegen sein Atelier unterhält. International als Fotograf unterwegs ist er für seine Architekturaufnahmen von berühmten Bauwerken bekannt geworden. Selbst ein begeisterter Tänzer, scheint er auf seine Weise mit Kompositaufnahmen, die ein Bauwerk Stück für Stück segmentieren und leicht schwingend wieder zusammensetzen, Philosophie und Kunstgeschichte zum Tanz zu bitten. Mit seiner Profession hätte ihm die ganze Welt offengestanden. Als Fotograf, der konzeptionell arbeitet und eine akademisch-künstlerische Ausbildung genossen hat, wählte er dennoch eine recht überschaubare Universitätsstadt zu seinem Lebensmittelpunkt. Und das ist wohlbegründet und gut so – und war, wie Thomas Kellner darlegt, nicht nur eine private Entscheidung. Ein ganz besonderes Band verbindet ihn mit Wohnsitz und Arbeitsstätte, Sie werden es erraten: Gleich drei für das zwanzigste Jahrhundert überaus folgenreiche Akteure, die zwei voneinander unabhängige ästhetische Positionen entwickelt haben, verdanken ihre Inspiration der, nennen wir es der Einfachheit halber „Provinz“ – ohne es jetzt despektierlich zu meinen, sondern lediglich in Abgrenzung zum Kulturgeschehen in den „Metropolen“. Da wäre zunächst August Sander zu nennen. Weiterlesen

Vortrag zu Gerhard Vormwalds Architektur-Capriccios

Am 17.05.2019 19 Uhr halte ich im Florian-Waldeck-Saal, im Museum Zeughaus C5 in Mannheim einen Vortrag mit dem Titel “ Verwegene Bauten, Hommage an die Provinz. Vormwalds französische Architektur-Capriccios“.

Der Vortrag wird im Rahmen des Begleitprogramm zur im Zephyr Mannheim stattfindenden Vormwald-Ausstellung gehalten.

Vortragsankündigung: Die Knochen sehen – Blinde in der Fotografie, ein neues Bewusstsein?

Ort: Hamburg, Haus der Photographie, Deichtorhallen
Termin: Samstag, 25. November 2017, 14:15 Uhr

Der Vortrag wird auf der Tagung der Deutschen Photographischen Akademie gehalten.

Betrachtet man historische Aufnahmen, die Blinde zeigen, befällt einem Unbehagen. Auf einer frühen Aufnahme von Paul Strand „Blind Woman“ aus dem Jahr 1916 zum Beispiel sehen wir den Kopf einer älteren, ärmlich gekleideten Frau, frontal vor einer schäbigen Wand aufgenommen. Ihr eines Auge ist geöffnet und sieht gesund aus, beim anderen ist der Augapfel nach innen verdreht. Um ihren Hals baumelt ein Schild, auf dem nur ein einziges Wort steht „Blind“. Ähnlich eine Fotografie von Lisette Model aus den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Ein grimmig ausschauender Herr sitzt auf einem Hocker vor einer Plakatwand und präsentiert ein Schild mit der Aufschrift „Aveugle“. Blinde wie Betrachter scheinen in ihrer je eigenen Welt isoliert zu sein, die unselige Bettelsituation wirkt wie ein Bann. Schon Dante hat in der Commedia, beim Gang durchs Purgatorio, die ungleichgewichige Situation zwischen Sehenden und blinden Bettlern beklagt: „Mir schien als täten wir im Gehen unrecht, wenn wir sie sahn, ohne dass sie uns sehen.“

Inzwischen hat sich die Einstellung zu Blinden, vor allem aber auch zu blinden Fotografen und Fotoigrafinnen gewandelt. Vor allem von Letzterem wird in meinem Vortrag die Rede sein, mit Beispielen aus der amerikanischen Fotografie, ausgehend von einem Film von Frank Amann „Shot in the Dark“(2017) und weiteren Projekten.

 

Die feinen Unterschiede

Der differenzierte Blick auf die Architektur der Ostmoderne im Fokus der Fotografie

(folgender Text basiert auf einem Vortrag, den ich am 05.12.2015 auf einer Tagung der Deutschen Fotografischen Akademie in Leipzig gehalten habe.)

Architektonische Relikte westlicher Schwerindustrie erfuhren in den letzten Jahrzehnten Aufmerksamkeit, Anerkennung und Pflege. Wie ein Blick auf den produktiven Umgang mit stillgelegten Zechen im Ruhrgebiet oder auch auf die Völklinger Hütte im Saarland zeigt, halten solch übrig gebliebene Anlagen, vor dem Verfall bewahrt und museumspädagogisch begleitet, auch die Erinnerung an untergegangene Produktionsformen wach: Die Lebensbedingungen im Maschinenzeitalter waren hart, aber die Arbeiten und Apparaturen selbst noch anschaulich und in ihren Abläufen im Großen und Ganzen zu begreifen. Funktionale, im neunzehnten Jahrhundert aber durchaus auch sehr repräsentative Industriebauten, zeigen eine eindrucksvolle Spannweite archtitektonischer Vielfalt, auch wenn man mit ihnen bei rauchenden Schloten nicht unbedingt ihre eigenwillige Schönheit und eindrucksvolle Wucht verband, sondern in erster Linie Schwerarbeit, Lärm und Schmutz. Weiterlesen

Licht-Einfälle. Welterkenntnis im Medium der Fotografie

Aus Anlaß der Buchveröffentlichung von Guido Baselias Fotobuch „Light Fall“ zeigt die Galerie Andres Thalmann bis zum 03.05.14 eine Auswahl seiner Fotographien. Wortlaut meiner im Begleitprogramm zur Ausstellung am 10. April 2014 gehaltenen Rede:

Fotografie bringt uns nicht nur längst entschwundene Augenblicke der Vergangenheit näher, sie konfrontiert uns auch mit einer Betrachtungsweise, die ein Stück weit die unsere ist, darüber hinaus aber explizit visuelle Strukturen erfasst. Diese sind in einer Situation, einem Geschehen zwar bereits angelegt, werden aber für uns erst auf der Aufnahme reflektiert. Einzelheiten und Ausschnitte, Kombinationen und Licht-Schattenverhältnisse werden sichtbar, die unsere Augen, die ihre Aufmerksamkeit im Alltagsgeschehen auf viele Faktoren gleichzeitig richten müssen, nur selten wahrnehmen können.

Zeitlichkeit spielt indes nicht nur für die Kapazität unserer Augen eine Rolle, sie bildet auch die immer wieder neu zu ergründende Faszinationskraft der Fotografie. Weiterlesen

Nächtliche Spiele

Einführung zur Ausstellung „Play“ von Ellen Bornkessel, Zeche Zollverein Essen 2013

Wir verlassen nach Einbruch der Dunkelheit das Haus oder steigen aus einem Fahrzeug und schon tauchen wir ein in das Treiben der hell erleuchteten Stadt, werden selbst zu einem Teil des Straßenbildes, das wir vorfinden: Sind wir noch Zuschauer oder sind wir bereits schon Akteure?

Ellen Bornkessels Aufnahmen zeigen die Großstadt als nächtliche Bühne für ihre Bewohner. Die architektonische Umgebung der Semperoper in Dresden bildet den Auftakt zu gleich mehreren Bildern (Das Ereignis, Der Weg, Die Kurve, Die Nachricht): ein großzügig gestalteter Platz, hell erleuchtete Fassaden und ausladende Treppenaufgänge, ganz großes Theater – die Schauseite der europäischen Monopole, Inbegriff kultivierter Architektur und städtischen Lebens. Das meiste ist jedoch spätere Inszenierung nach historischem Vorbild: Die im Krieg zerstörte Semperoper wurde teilweise schon in der Nachkriegszeit wieder aufgebaut, dann originalgetreu 1985 rekonstruiert und mit Beleuchtungsregie wirkungsvoll in Szene gesetzt.

Die Wahl dieses Ortes kann in zweifacher Hinsicht als geradezu programmatisch für Bornkessels Arbeit aufgefasst werden. Ihre Liebe gilt dem Theater, sie hat Probe und Premiere der spektakulären „Promethiade“-Triologie, die in Essen, Istanbul und Athen aufgeführt wurde, fotografisch künstlerisch begleitet. Weiterlesen

Ausstellungseröffnung Amin El Dib 9.10.11 Emmendingen

Amin El Dib Konstruktion u. Dekonstruktion

Nehmen wir einen Spiegel zur Hand – sagen wir in Größe eines Taschenbuches – und halten ihn auf Bauchhöhe gegen die Zimmerdecke gerichtet. Schreiten wir die eigene Wohnung ab, indem wir den Blick unverwandt auf den Spiegel gerichtet halten und versuchen wir, uns nur mit Hilfe des Spiegelbildes der Decke in den wohlbekannten Räumen zu orientieren: Wir bekommen das Vertraute und uns täglich Umgebende jetzt aus einer anderen Perspektive, in einer anderen Dimension zu sehen. Es ist fast ein wenig, als würden wir, das, was doch Teil unseres privaten Lebens ist, zum ersten Mal vor uns liegen sehen. Kinder mit ihrem noch experimentellen Zugang zur Welt lieben solche Perspektivwechsel – und das Beispiel mit dem Handspiegel stammt von einer Studierenden der Universität Wien, die sich angesichts einer Arbeit über den Spiegel in der Fotografie an dieses selbst erfundene Spiel aus ihrer Kindheit erinnerte. Weiterlesen

Carsten Sternberg: Bali – Beyond Paradise

11„Besonders in den Bann gezogen hat mich bei der fotografischen Arbeit stets der Augenblick, in dem man auf dem belichteten Papier die Schatten der Wirklichkeit sozusagen aus dem Nichts hervorkommen sieht“ – mit diesen Worten beschreibt der Schriftsteller W.G. Sebald in seinem Roman „Austerlitz“ die Faszination, die von den chemischen Prozessen in der Dunkelkammer ausgeht. Wie prägend solche Erfahrungen sein können, die das kurze Aufblitzen eines weltenschaffenden, demiurgischen Moments mit dem magischen Denken des Kindes verbinden, berichtet auch Carsten Sternberg, wenn er erzählt, wie er schon als Fünfjähriger dem Vater zur Hand gehen durfte, der als Hobby seine Negative zuhause selbst entwickelte. Weiterlesen