André Kertész

7Der aus Ungarn stammende Fotograf André Kertész (1894-1985) hat unbeirrbar das fotografiert, was ihn interessierte und ausschließlich so, wie er es künstlerisch für richtig hielt. Erst das ländliche Ungarn, dann Paris und New York. Der vorliegende Katalog ist als Monografie zu Leben und Werk gestaltet.

Der kleine Ernest steht in kurzen wollenen Hosen, Stiefelchen und schwarzem Kittel selbstbewusst und ein wenig verträumt neben seiner Schulbank, ein blinder Geiger begleitet von einem barfüßigen Jungen spielt irgendwo auf einer nicht asphaltierten Dorfstraße in Ungarn auf, ein Junge in zu großen Kleidern hält sich zärtlich einen Welpen an die Wange – André Kertész fotografierte seine Umgebung in einer präzisen und zugleich berührenden Formensprache.

Sein Werk gibt in luzider Klarheit Zeugnis von seiner Umgebung, erst des ländlichen Ungarn, dann des Paris Mitte der 20er und 30er-Jahre. Jahrzehnte verbringt er in New York, einer Stadt, mit der er nie richtig heimisch wird und die er am liebsten aus der Distanz, von oben betrachtet: die Schatten der Passanten vor seinem Fenster, Schornsteine, die Geometrie der Fassaden. Weiterlesen

Auszeit

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Quer durch die Fotografiegeschichte sind sie anzutreffen: Aufnahmen von Wartenden in öffentlichen Verkehrsmitteln. Worin liegt der Reiz dieser Fotografien, was sagen sie über eine Zeit, und bieten sie darüber hinaus gar eine bisher unbeachtet gebliebene Reflexion der fotografischen Situation?

Welche Art Sehnsüchte und kollektive Traumata, aber auch welche Fertigkeiten und Erfahrungen nonverbal von Generation zu Generation weitergereicht werden und unterhalb der Wahrnehmungsschwelle Mentalitäten formen, beschäftigt Dichter ebenso wie Ethnologen, Analytiker und Soziologen.

In die Höhe strebende Äcker
Mit bösem Blick auf das kulturelle Selbstverständnis der Amerikaner nimmt Alexander Kluge in seinem Buch «Tür an Tür mit einem anderen Leben» (Suhrkamp-Verlag 2006) dieses Interesse in den Blick. Unter der Überschrift «Das Land des Euphrat und des Tigris mit der Seele suchend» stellt er einen amerikanischen Militär im Irak vor, seines Zeichens Major und Altphilologe. In seinen Forschungen hat er sich mit der 6000-jährigen «Geschichte der landwirtschaftlichen Revolution» beschäftigt und betrachtet den Krieg im Irak als eine Art Rückkehr in eine imaginäre «Heimat»: Seine Leute, allesamt aus New York, die jeden Tag vor ihm anträten, zitiert Kluge seinen imaginären Gewährsmann, trügen die gesamte Vorgeschichte in sich. Weiterlesen

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