Die Gemälde von Karl Kunz

Rede zur Ausstellungseröffnung Karl Kunz „Im Frauenhaus“ 8. März 2023, Kühlhaus Berlin

Vorhang auf für die Fantasie! Und dann hereinspaziert in das Welttheater von Karl Kunz und nicht nur gestaunt ob der fulminanten Malkünste, der Komposition und der Balance der Bilder, sondern mitgespielt. Und zwar jetzt einmal ohne Bedenken, ob man das heute noch darf oder nicht. Im Spiel ist viel, ja fast alles erlaubt, noch immer.

Karl Kunz „Der Altar“ 1963 Öl auf Hartfaser 122,5 x 122,5 cm Werkverzeichnis Nr. 418

Viele der hier gezeigten Gemälde von Karl Kunz spielen in Innenräumen. Sie öffnen sich zum Betrachter hin und ziehen uns in den Raum hinein. Selten sind diese Räume den Regeln der Zentralperspektive unterworfen, so haben wir oft das Gefühl, nicht nur mit den Augen, sondern weit mehr mit unserem Gleichgewichtssinn ein Bild zu erfassen. Da die Augen nicht Schritt für Schritt durch die Bildkonstruktion in eine vermeintliche Tiefe geführt werden, geraten wir ein wenig ins Taumeln ob der vielen Möglichkeiten des Hin und Herspringens, ja Vexierens. Aber bald schwingen wir uns ein: Die sorgsam austarierte Bildfläche der Kunzschen Bildtafeln gibt uns Halt, so wie ihn uns jahrhundertelang die Zentralperspektive bot. Nun können wir unbesorgt loslassen und schauen, hin und her schweifend und doch wohlbehalten, aufgefangen vom dicht geknüpften Netz der Bildkomposition.

Artisten und besonders Jongleure haben es Karl Kunz angetan. Die Welt des Zirkus bedeutete einen Gegenentwurf zum streng katholischen Milieu, in dem der Junge in Augsburg aufwuchs, einen Gegenentwurf voller Versprechen, Nervenkitzel und Körperbeherrschung, die Gefahr des jähen Absturzes inbegriffen: Die Artisten verkörpern eine scheinbare Schwerelosigkeit, die man nur durch stetiges Üben und strenge Selbstdisziplin erreichen kann. Ähnlich wie die bewunderten Artisten, verfuhr später der Maler in seinen Werkprozessen: Malte er einmal an einem Bild, das ihn vor eine besonders schwierige Aufgabe stellte, arbeitete er obsessiv und ohne Ruhepausen die Nacht hindurch, bis er im Bild oder einem ausgewählten Bildausschnitt die nötige Stringenz der Form erreicht hatte. Und die selbstgesetzten Maßstäbe waren hoch.

Furniere, Stoffe und Trümmerlandschaften

Die Berufe und Vorlieben der Eltern brachten für das Kind einen Fundus von stofflichem Anschauungsmaterial: Der Vater war Schreiner, später Holz-und Furnierhändler, die Mutter Putzmacherin. Die Maserung von Holz, Holzzierteile, Drechselarbeiten, Furniere, Bretterböden: Wir finden immer wieder Bildelemente, die eine Hommage an diese Welt des Fertigens und der sorgsam gearbeiteten Einzelteile darstellen. Stoffe, Vorhänge, Paravents, Schneiderpuppen, ein weiterer Fundus von Materialien kommen hinzu, sie spielen in Kunzens Bilder eine tragende Rolle. Nach dem Krieg, Kunz war da schon vierzig Jahre alt, bildeten die gravierendsten Eindrücke für eine ganze Generation, die im Krieg zertrümmerten Wohnhäuser und Straßenzüge. „Treppenhäuser mit geblümten Tapetenresten, Wundkrater, das Stehengebliebene schien absurder als das Gefallene“, beschreibt Ursula Krechel in ihrem Roman „Landgericht“ die Situation in den zerstörten Städten. Auch das Elternhaus in Augsburg von Karl Kunz wurde zerbombt, ein Großteil seines Frühwerks lag verbrannt unter Trümmern.

Karl Kunz, „Ruine“, Öl, August 1946 Besitz: Johanna Corniels

Die aufgerissenen Fassaden im Kriegs- und Nachkriegsdeutschland, die ein Haus in die Kompartimente seiner Stockwerke zerlegten, bilden als geometrische Grundstruktur oft das Gerüst von Kunzens Welttheater.

Die schillernde Welt des Zirkus und später der Varietés, der sorgsam gearbeiteten Holzarbeiten, die Stoffe – gerne Streifenstoffe wie bei den von der japanischen Kultur inspirierten Impressionisten oder Rautenmuster – finden sich sozusagen als Kulissen wieder. Dazu kommen religiöse Bildmotive und mythologische Figuren, die in der Nachkriegszeit kurzfristig ein Revival erleben auf der Suche nach übergreifend gültigen Konstanten im von Nazideutschland mit Krieg und Leid überzogenen Europa. Vor allem im Spätwerk von Karl Kunz finden sich zunehmend erotische Sujets mit kunstgeschichtlichen Anspielungen. Das „große Welttheater“ wurde einmal eine Ausstellung von Karl Kunz benannt, unsere Ausstellung heute, die sein Sohn Wolfgang Kunz kuratiert hat, heißt „Im Frauenhaus“.

Im Frauenhaus: eine Schule des Sehens

Welches Theater wird im Kunzschen Frauenhaus gespielt? Vordergründig ist es das Theater der Sexualität und der erotisch konnotierten Zeichen und Fetische, wie Strapse und Korsett, die sich aus den Bordellen des 19. Jahrhunderts, aus denen bürgerliche junge Männer ihr sexuelles Wissen und ihr Frauenbild bezogen, in unterschiedlichen Ausprägungen bis in die Gegenwart hinein, fortpflanzen konnten. Wir finden aber auch offensichtliche oder versteckte Vulvasymbole, die als Symbol weiblicher Stärke kulturgeschichtlich auf einem ganz anderen Blatt stehen. Kann man und dazu als Mann beides gleichzeitig malen und mehr oder weniger explizit ansprechen? „Naturkraft und Erotik“ fehle ihm bei Oskar Schlemmers Bildern, ohne ihn bliebe der Geist dünn, schrieb er einmal in einem Brief an einen Schüler und sieht sie als Quellen künstlerischen Schaffens.

Was sehen wir, wenn wir Kunzens Bilder anschauen? Ganz neutral gesagt, erst einmal Zeichen und Körperfragmente auf einer Bildfläche, die sorgsam in Kompartimente aufgeteilt ist. Sie ist es, die den Wirbel der Einzelteile ästhetisch zusammenhält wie die tragenden Wände eines Hauses. Dass wir auf einem Bild etwas anderes sehen als nur Farbe auf einem Trägermaterial, dass sich das Vorstellungsbild einer Szene, eines Gegenstandes, einer Gestalt, einer Figur aus den Farbschichten herauskristallisiert, ist eine geistige Leistung, die jeder Betrachter und jede Betrachterin erbringt. Sie ist nicht nur von Sehgewohnheiten einer Zeit und vom Können des Malers abhängig. Der Maler leitet uns auch und gibt den Impuls, uns ein Stück weit in seinen Bildkosmos hineinzubegeben, hineinzudenken und hineinzufühlen, sich ihm also geistig wie körperlich ein Stück weit anzuvertrauen. Manchmal unterstreicht er eine Sichtweise auch suggestiv und fordernd mit einem einschlägigen Bildtitel: „Im Modesalon“, „Athlet und Tänzerin“, „Circe“ oder auch: „Im Freudenhaus“, um nur einige zu nennen. Darüber hinaus aber müssen wir uns auch auf unsere eigenen Erfahrungen, Animositäten, unsere Imagination und Ängste einlassen, sonst entsteht keine Zwiesprache mit dem Bild und wir sehen nur die eine Hälfte, das Vordergründige. Dann bilden wir, ganz bildlich gesprochen, nur die eine Hälfte des platonischen Paares, als die sich Maler und Betrachterin bei der Rezeption eines Bildes begegnen. Ein Kunstwerk vollendet und erneuert sich mit dem Betrachter.

Platonisches

Im Symposion von Plato spricht Aristophanes davon, dass es ursprünglich nicht nur zwei, sondern drei Geschlechter gegeben habe. Das dritte Geschlecht bestand, so Plato, in der Vereinigung von Mann und Frau und besaß die Form einer Kugel. Hören wir, was Plato Aristophanes dazu in den Mund gelegt hat:

„Ferner war die ganze Gestalt eines jeden Menschen rund, so dass Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel eben soviel als Hände, und zwei Angesichter auf einem kreisrunden Halse einander genau ähnlich, und einen gemeinschaftlichen Kopf für beide einander gegenüberstehende Angesichter, und vier Ohren, auch zweifache Schamteile und alles Übrige, wie es sich hieraus ein jeder weiter ausbilden kann.

Er ging aber nicht nur aufrecht wie jetzt, nach welcher Seite er wollte, sondern auch wenn er schnell wohin strebte, so konnte er, wie die Radschlagenden jetzt noch, indem sie die Beine gerade im Kreise herumdrehen, das Rad schlagen, ebenso auf seine acht Gliedmaßen gestützt sich sehr schnell im Kreise fortbewegen.“

Auch solche mythologischen Figuren mögen einem beim Betrachten der Bilder in den Kopf kommen. Mich erinnerte die Dynamik der androgynen Körperteile in Platos Schilderung, bei denen nicht immer zu unterscheiden ist, ob sie zu einem Mann oder zu einer Frau gehören, ihre im Kreis wirbelnden Bewegungen und natürlich auch das sportliche Radschlagen an die artistischen und zugleich wohlausgewogenen Bildkompositionen von Karl Kunz. Auch hier ist nicht immer klar zu unterscheiden, welche Gliedmaßen zu wem gehören, sie bilden ein rotierendes Ganzes.

Was also ist zu sehen, wenn wir Bilder betrachten? Was ist durch unsere Fantasie oder durch kollektive Fantasien, ja Reste von mythologischem Denken, das wir in uns tragen, bestimmt?

Hybridisierungen und Synthesen

„What you see is what you see“ hieß es so lakonisch wie provokativ und durchaus ambivalent in der minimalistischen, amerikanischen Kunst der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Maxime „What you see is what you see“ enthält einerseits eine Absage an die Welt des Transzendenten und Spekulativen, andererseits spielt sie den Ball dem Betrachter zu, wirft ihn auf sich selbst zurück. Die Welt des Imaginären, in die uns figurative Darstellungen hineinziehen können, wurde in der Nachkriegszeit auch in Deutschland bis tief hinein in die Sechziger Jahre als so gefährlich angesehen, dass man bald nur noch Abstraktion in der modernen Kunst als gebändigten Ausdruck der neuen, geläuterten Zeit gelten ließ.

Das scheinbar Obsolete einer Malerei, die auch Figuratives enthielt, wurde zum Problem für Karl Kunz. Er wurde zwar unmittelbar nach dem Krieg in Ausstellungen und Berichten wahrgenommen, erhielt auch einen renommierten Preis (Domnick Preis), dann aber ließen die Aufmerksamkeit und das Interesse an seinem Werk spürbar nach. Die Zeichen der Zeit standen auf purer Abstraktion, die als die eigentliche Vollendung eines künstlerischen Weges galt, noch heute lesen wir manchmal: er oder sie habe „zur Abstraktion gefunden“, was durchaus impliziert, alle anderen Richtungen seien nur Vorstufen zur reinen Lehre gewesen. Hybridisierung und Synthesen so unterschiedlicher Kunstrichtungen wie Kubismus, Surrealismus, Konstruktivismus, Bauhausgedanken, die Karl Kunz letztendlich alle den Regeln seines selbst geschaffenen, übergreifendem Bildkosmos unterwarf, konnten nicht mehr verstanden werden. Oder sagen wir noch nicht, denn die Zeiten und Anschauungen haben sich geändert. Auch wenn der Prozess der Würdigung des Schaffens von Malern und Malerinnen der Nachkriegszeit noch nicht abgeschlossen ist und wahrscheinlich noch, ähnlich wie bei der Wertschätzung von Künstlern und Künstlerinnen aus dem 19. Jahrhundert viele spiralförmige Schleifen durchlaufen muss: Bilder von Karl Kunz befinden sich heute in der Sammlung bedeutender Museen. So im Frankfurter Städel, im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, im Hessischen Landesmuseum, im Museum der Moderne in Salzburg, im Von der Heydt-Museum Wuppertal, in der Neuen Berliner Nationalgalerie, um nur einige zu nennen. Derzeit sind allerdings nur in der Berliner Nationalgalerie zwei seiner Werke im Ausstellungsbereich zu sehen, in den anderen Museen befinden sie Kunzens Werke im Sammlungsdepot und warten darauf, einmal im eigenen Haus ausgestellt oder ausgeliehen zu werden.

Durchdachte Formenwelt

Aber zurück zu Kunzens „Frauenhaus“, seinen ins Bild gefassten Gestalten, Figuren und Gegenständen. Runde und spitz ragende Formen im Wirbel von Körperteilen und gespreizten Beinen auf seinen Bildern, stellen sie zwingend eine Kopulation vor oder sind es doch nur runde und spitze Grundformen, aus denen man, je nach Kontext und Fantasie sich die Bildgegenstände und möglichen Szenarien selbst zusammenbauen kann? Liest hier jeder und jede Ähnliches aus den Bildern und wenn ja, hat das etwas mit unseren Sehgewohnheiten, unsrer kulturellen Prägung, aktuellen Diskussionen zu tun, wir sind ja immer viel mehr Kinder unserer Zeit als wir uns das selbst zugestehen wollen?

Schließlich hat man, um nur ein Beispiel zu nennen, im viktorianischen Zeitalter selbst Tischbeinen einen erotischen Kontext zugeschrieben und betrachtet man die gedrechselten Formen auf Kunzens Bildern vor diesem Hintergrund, könnte man auf den Schluss kommen, dass Kunz hier mit uns, unserer Vorbildung, unseren kulturellen Prägungen spielt, uns die Bälle zuwirft und damit jongliert. Betrachten wir, stellvertretend für die anderen Bilder, drei in der Ausstellung gezeigte Bilder genauer:

Party mit Anfassen

So das Bild Party mit Anfassen“ (der Titel ist posthum) von 1968. Zwei Drittel des Bildes zeigen linkerhand vier fast nackte Menschen, die sich küssen und betasten oder „befummeln“, wie das damals im Jugendjargon der Sechziger Jahre hieß. Gesichter und Frisuren indes erinnern an Frauendarstellungen, wie man sie aus den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kennt. Arme, Beine, Pobacken, Busen sind als Bildgegenstand geometrisch aufgefasst, voll Dynamik und doch in ihrem Spannungsverhältnis wohlausgewogen. Das Bilddrittel rechterhand bildet ein ruhiges, optisches Gegengewicht. Es hält die Blicke fast mehr fest als das Geschehen auf der wilden, ausufernden Party. Eine lüstern und ein wenig neidisch dreinblickende Katze mit struppigem Fell lauert auf dem flammend roten Sofa neben den tanzenden Partygästen. Eine fleischfarbene geöffnete Blüte schmückt – fast in der Bildmitte – das Sofa, davor ragt ein gedrechseltes Element in die Höhe. Man könnte beides als Phallus und Vulva lesen. Wenn man die geschwungenen Sofabeine ein Weilchen anschaut, die einen Durchblick auf eine in verschiedenen Blautönen gehaltene Fläche eröffnen und sie mit an surrealistischen Bildern geschultem Blick betrachtet, könnte man das eine Bein, bzw. den großen fürbaß schreitenden Fuß, aber auch auf einem Platz verorten. Dann wäre er Teil oder Überrest einer monumentalen Kolossalskulptur, wie wir sie zum Beispiel aus der Antike kennen. Einen kannelierten Sockel mit einem Kopf ohne Gesicht sehen wir auch ganz am Bildrand, was die surrealistischen Bildreminiszenzen weiter befeuert. Je länger man hinschaut, desto verspielter wird die Situation. Das Sofa verwandelt sich dann in eine eigene anthropomorphe Figur mit Füßen und einen im Profil wiedergegebenen Kopf, der eigentlich eine Blumenvase mit bunten Blumen ist: Kunz eröffnet neben dem Expliziten ein reiches Feld der Anspielungen und Symbole. Das geschieht mit Ironie, Selbstironie, Fingerspitzengefühl und Leichtigkeit. Kunzens Bilder sind so betrachtet, auch von funkensprühendem, ausgelassenem Witz. Man sollte also hier beileibe nicht alles mit tiefem Ernst und mit nüchternem Anspruch auf politische Korrektheit betrachten, so als fände all das in der Welt des Realen statt, obwohl oder gerade weil die Bilder rational durchdacht und wohl-komponiert sind. Spannungsverhältnisse, ja auch inhaltlich irritierende Paradoxien gilt es auszuhalten, wenn man sich – rein platonisch, versteht sich, auf Karl Kunzens Bilderwelt einlässt.

Im Bordell

„Im Bordell“ (1967) ist ein eindeutiger Titel, auf Kunzens Bilderwelt bezogen, trifft hier auch eine weitere Bedeutung des französischen Begriffs  „Bordell“ zu, das auch ein „Durcheinander“ bezeichnet. Wohlgeordnet ist indes die Bildkomposition, eine Art von Triptychon. Betrachten wir exemplarisch den linken Teil des Triptychons. Auf einem Bild im Bild schaut ein Voyeur auf die Szene. Die Formen lassen sich als Darstellungen weiblicher und männlicher Intimteile lesen, rein gegenständlich sind indes nur Arme und Hände, der Kopf des Voyeurs, die Köpfe eines Manns und einer Frau in der Mitte und das Profil einer Frau ganz rechts. Sowie die Dielenbretter und ein Tisch, dessen Bein die Form eines schwarz bestrumpften Frauenbeins mit schwarzen High Heels angenommen hat. Die anderen verwirbelten Formen setzen sich Betrachter und Betrachterin zusammen, nach Maßgaben des Titels. Einiges lässt sich auch als Vexierbild lesen, dann entdecken wir Landschaften und Köpfe und befinden uns inmitten eines alten, erotisch konnotierten Spiels. Es bestand traditionell darin, dass zuerst Landschaften und Köpfe wahrgenommen wurden und erst auf den zweiten Blick die verborgenen erotischen Botschaften. Oder um es in Metaphern des Zirkus und der Varietés auszudrücken, wir folgen einem Kartenspielertrick der Kunst, nur lesen wir hier zuerst erotisch und erst im zweiten Schritt sehen wir die weiteren Möglichkeiten, welche das Spiel mit den Formen zu bieten hat.

Im Boudoir

„Im Boudoir“ von 1965 sehen wir zuerst Muster, Rauten, Kreuze, Rechtecke, Ringe, Streifen in, sagen wir, die Assoziation des Musters legt es nahe, volkstümlichen Farben. Das Erste, was uns aus den Ornamenten entgegenblickt, ist eine Harlekinsfigur. Dieses Mal ballt sich das Geschehen auf den beiden Bilddritteln rechterhand, linkerhand sehen wir nur ganz oben ein Rechteck, das ein geöffnetes Fenster darstellen könnte. Bald meinen wir Körperteile in gespreizten Posen zu erkennen, Brustnippel, ein nackter Bauch mit Bauchnabel, Pobacken, entleert sich womöglich ein nackter Hintern auf eine Schale, in der Kunz seine Signatur gesetzt hat, sehen wir Geschlechtsteile oder sind es runde und spitze geometrische Formen? „Honi soit, qui mal y pense“ – ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt, möchte man sagen, denn wirklich klar ist hier nichts.

Karl Kunz hat nach dem Krieg als politisch unbelasteter Künstler, der von den Nazis Malverbot erhielt, zwei Jahre an der Staatlichen Schule für Kunst in Saarbrücken mit Begeisterung unterrichtet, ehe er als kritischer Kopf, der seine Ansichten vertrat und auf Seiten der Studierenden für bessere Bedingungen in der Ausbildung kämpfte, Hals über Kopf wieder entlassen wurde. Für den von den Studierenden sehr gut angenommenen Elementarunterricht erarbeitete er ein Repertoire von Formen, eine Art Baukasten, mit dessen Hilfe ein Künstler sich seinen eigenen Kosmos aufbauen kann, bzw. den er variieren, verändern, sich seiner eigenen Handschrift anverwandeln muss. Und von dem er sich letztendlich auch wieder lösen sollte. Von Kunzens Elementarunterricht an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken 1947-/48 sind handschriftliche Aufzeichnungen vorhanden, in denen er notierte, welche Aufgaben er den Studierenden stellte Hier zeigt sich sein systematisches, analytisches Denken besonders deutlich:

Definiert werden für die Studierenden zunächst 14 Grundelemente. Neben den klassischen geometrischen Körpern finden wir auch Tropfenform, Eiform, Blattform, Stab, Körperform, Punkt oder Band. Die Linie wird als verbindendes Element unter dem Stichwort „Kompositionsprinzipien“ besonders hervorgehoben. Aufgaben bestehen zum Beispiel darin, Stillleben, Landschaft und Figur in einer dreigeteilten Komposition unterzubringen. Bestimmte Farbabfolgen und Einfassungsbänder sollen erprobt werden und immer wieder wird deutlich, wie wichtig die Hell-Dunkelumgebung der einzelnen Elemente ist, aber auch ihre flächige und rhythmische Verteilung. Kunz notiert für die Studierenden Motive, die uns auch aus seinen Bildern bereits vertraut sind: „Akrobat und Clown“ , „Kreuzigungsgruppe“, „Kreuztragung“ aber auch „Tanzkafe“.

Das Arbeiten nach gestellten Themen folgt dem Zweck den Schülern den eigenen Stil zu bilden“, schreibt er und kurz darauf: „Menschlich-persönliche Aussage vor allem in den Themen „Tanz“, „Kreuzigungsgruppe“ und „Welt in Ruinen“ zur Darstellung (Expression).“

All das ist zugleich auch ein Blick in die eigene Werkstatt, mit dem deutlich wird, wie kontinuierlich und grundlegend Karl Kunz über Jahrzehnte hinweg an Formen, Themen, Bildaufteilung, Farbauftrag und Rhythmus arbeitet, so dass sich bei aller Fantasie und Abwechslung zugleich auch ein in sich geschlossenes Werk ergibt. Das zeichnet Künstler und Künstlerinnen aus, die Bleibendes geschaffen haben.

Nachklang

Wolfgang Kunz, einer von seinen beiden Söhnen, der selbst ein bedeutender und anerkannter Fotograf ist und vor kurzem seinen achtzigsten Geburtstag feiern durfte, kommt das Verdienst zu, das Werk des Vaters der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Wie sehr auch Wolfgang Kunz sich in seinen Porträtaufnahmen dafür interessiert, um es einmal in der Sprache der Malerei auszudrücken, Figurales mit geometrischen Kompositionselementen zusammenspielen zu lassen, sehen wir auf den Schwarz-Weißaufnahmen, die hier in ein posthumes Zwiegespräch mit den Bildern seines Vaters treten. Das Zwiegespräch war indessen nicht nur posthum: Der mit 66 Jahren 1971 schon früh verstorbene Karl Kunz hat selbst hin und wieder Aufnahmen seines Sohnes in seinen Bildern zitiert.

Wir danken Wolfgang Kunz für seinen unermüdlichen Einsatz und freuen uns mit ihm, so viele Bilder von Karl Kunz hier versammelt zu sehen, eine Art Geburtstagsgeschenk, das Wolfgang sich selbst und damit auch uns als seinen Gästen überreicht hat.