Temporäre Einblicke in fremde Welten können unverhoffte Glücksmomente verschaffen, flüchtig wie ein Schattenwurf, der sich auf einer Häuserwand abzeichnet, die Spiegelung einer Straßenszene in einer Fensterscheibe, der Anblick von ruhend ausgestreckten Beinen in Strumpfhosen, deren Rippenmuster mit den breiten Stufen einer Treppenanlage korrespondiert.
In ihren gebauten Proportionen bietet gerade die moderne Stadt mit gelenkten Verkehrsströmen, öffentlichen Parks, Geländern und Brüstungen, aber auch mit Durchsichten zwischen Hochhäusern und Bürotürmen, ein Raster von geometrischen Strukturen, deren Anblick sich je nach Position des Betrachters ein wenig verschieben mag. Mit Leben erfüllen Bewohner und Passanten die bereit gestellte Infrastruktur: Sie folgen den architektonischen Vorgaben verdrossen, zerstreut oder ausgelassen. Oft aber bespielen sie die gebaute Welt doch ganz anders als ursprünglich vorgesehen. Jahreszeiten und Lebenssituation spielen dabei eine Rolle: Regenwetter oder die erste Frühlingssonne setzen ein anderes Licht, städtische Brachen entstehen, junge Studenten bewohnen öffentliche Plätze ungezwungener als vom Alltag zermürbte Berufstätige.
© Claudia Fritz: Urbanfictions-1
Dieses urbane Kräftespiel ordnend ins Bild zu setzen, bedarf es gleichermaßen einer Kamera, die das pulsierende Geschehen im Zweidimensionalen des Bildes für unser Auge plausibel zurecht rückt, wie eines analytischen, ja ethnologischen Blickes, der das Zusammenwirken von Architektur und Bewohnern als Ausdruck eines spezifisch-zeitgenössischen Lebensgefühls zu begreifen sucht. Weiterlesen →