Frankfurt am Main zählte vor dem Zweiten Weltkrieg zu den schönsten Städten in Deutschland: Eine mittelalterliche Altstadt mit spitzgiebligen Dächern und Gründerzeitquartiere prägten das Stadtbild. Heute verbindet man mit Frankfurt die wachsende, himmelstürmende Skyline und begreift die Stadt als durch und durch modern. Kriegsschäden und die achtlose Abrisspolitik der Nachkriegsjahrzehnte ließen nur noch wenige historische Bauten übrig. Hierin teilt Frankfurt das Schicksal vieler anderer deutscher Städte.
Ältere Frankfurterinnen und Frankfurter müssen auf ferne Kindheitserinnerungen zurückgreifen, um sich an den Vorkriegszustand des in Trümmer gelegten Altstadtviertels zu erinnern. Jüngeren Stadtbewohnern und Besuchern Frankfurts steht neben überlieferten historischen Fotografien ein idyllisch anmutendes Stadtmodell der Brüder Treuner im Maßstab 1:200 zur Ansicht. Es wurde vor dem Krieg begonnen, aber erst danach fertiggestellt und befindet sich im Besitz des Historischen Museums.
Vor einigen Jahren setzte ein sehr zeitspezifisches Revival des verlorenen historischen Zentrums ein.
Die Stadt beschloss, das aus den 1970er-Jahren stammende und im brutalistischen Stil gebaute Technische Rathaus in der Braubachstraße abzubrechen. Für die Neubebauung des Areals zwischen Dom und Römer und dem freigewordenen Gelände des Technischen Rathauses wurde Ende 2005 ein städtebaulicher Wettbewerb ausgeschrieben. Der als Sieger gekürte Entwurf blieb umstritten. Frankfurter Initiativen und Vereine forderten eine Wiedererrichtung der kriegszerstörten Bauten – und das mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende.
Der Wiederaufbau der Altstadt ist in vollem Gange
Ein 3D-Programm des Geografen Jörg Ott spielte dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ott hatte über viele Jahre hinweg akribisch am eigenen Computer die historische Vorkriegsaltstadt als Animation wieder aufgebaut. Die Medien wurden auf die Visualisierung der ehemaligen Altstadt aufmerksam. Otts Webseite, virtuelle-altstadt.de, erfreute sich hoher Klickzahlen, jedermann konnte und wollte jetzt am heimischen Bildschirm durch die über 100 Gassen des alten Frankfurt flanieren.
Immer größer wurde der Wunsch in der Bevölkerung, dieses künstlich generierte, märchenhaft erscheinende Bild der Stadt vor Ort maßstabsgetreu architektonisch wiedererstehen zu lassen.
Bereits im September 2007 kam es nach umfangreichen Diskussionen in der Presse und auf Druck von politischen Initiativen zu einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung: Der zwei Jahre zurückliegende Siegerentwurf aus dem Wettbewerb sollte nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen verwirklicht werden. Stattdessen wollte man den historischen Grundriss und sein Straßennetz weitestgehend wiederherstellen. Markante historische Bauten sollten rekonstruiert werden. In einem Vortrag des Magistrats hieß es, man strebe eine „kleinteilige Mischnutzung mit hohem Wohnanteil“ an. Später schrieb man erneut einen Wettbewerb aus.
Der Wiederaufbau der Altstadt ist seit 2014 in vollem Gange. Das städtebauliche Dom-Römer-Projekt wird nach aktuellem Stand rund 196 Millionen Euro kosten und damit etwa zehn Millionen Euro mehr als zuletzt vermutet. Die neu errichtete Frankfurter Altstadt soll im September 2018 eröffnet werden. 35 Altstadtgebäude entstehen hier, einige werden rekonstruiert, die meisten ganz neu errichtet und frei historisierend gestaltet. Die Sehnsucht, sich der Vergangenheit mit einer cleanen und nach heutigen Bedürfnissen gebauten Simulation der mittelalterlichen Anlage zu vergewissern, und das ausgerechnet im schnelllebigen, zukunftsorientierten Frankfurt, rief auch Skepsis und Spott hervor.
Zum Beispiel über den „Krönungsweg“ der Kaiser zwischen Dom und Römer, also die schmale, gewundene Gasse „Alter Markt“, um es etwas weniger glamourös auszudrücken. Zumal der unspektakuläre Weg in historischen Zeiten größtenteils ungepflastert war und vom Kaiser auf einem extra zu diesem Anlass aufgebauten, stoffverkleideten Holzsteg passiert wurde.
Gibt man so den Frankfurtern ihre Identität zurück?
Oberbürgermeister Peter Feldmann machte auf dem Richtfest im Herbst 2016 feierlich geltend: Man wolle etwas erschaffen, das „die Herzen und die Seelen dieser Stadt, die früher als Bankfurt-Krankfurt, als Kriminalitätshauptstadt diffamiert wurde, heilt“.
Man hat sich hier also eine Art von Seelenwanderung vorzustellen, bei der die Seele der einstigen Stadtbewohner aus dem mittelalterlichen Gassengewirr über die Computersimulation in Siebenmeilenstiefeln glücklich in die Gegenwart der heutigen Frankfurter und Frankfurterinnen hineinspaziert.
Dieter Bartetzko, der 2015 verstorbene Architekturkritiker für die FAZ, brach in seinem 2014 erschienenen „Architekturführer Frankfurt“ vorab eine Lanze für die kühle Aufgeräumtheit der hier neu entstehenden „Zweiten Moderne“. Sie zeichne sich durch klare Konturen des Baukörpers und hochwertige Materialien aus und zeuge damit von einer auf das Wesentliche reduzierten Erinnerungskultur. Frankfurt zeige sich „auf geschichtlichem Boden dem internationalen Anspruchsniveau (…) gewachsen“, in dem es zeitgenössische Bauten auf „Urformen“ reduziere und „sinnhaft verknappe“.
Jürgen Tietz äußert sich im März 2017 in der Neuen Zürcher Zeitung sehr kritisch, ja empört über den „Irrtum“: Was eine historische Altstadt wirklich ausmacht, ihre Atmosphäre lässt sich nicht verordnen. – Die „fiktionale Stadtarchitektur“ wirke wie eine „gebaute Zeitmaschine“, eine „weinerliche Mischung aus Verlust und Verdrängung“.
Jahrzehntelang wurde mit Sondergenehmigungen gebaut
Ganze 80 Wohnungen entstehen in der neuen Altstadt neben Ladengeschäften. Was für Frankfurt wichtig wäre: Dringend benötigte neue städtische Gebiete für die Bebauung auszuweisen, städtebaulich attraktive Vorgaben zu verwirklichen und dazu noch so etwas wie eine gerechtere soziale Durchmischung zu erreichen. Doch das erweist sich nach wie vor als schwierig. In Folge der Zuwanderung ist ein weiterer neuer Stadtteil nötig. Wo er aber entstehen soll, ist sehr umstritten. Immerhin fordert der seit 2016 amtierende SPD-Planungsdezernent Mike Josef ein, dass auch bei privaten Bauherren in neuen Wohnbaugebieten der Anteil von öffentlich „gefördertem Wohnraum“ ausnahmslos 30 Prozent betragen soll.
„Ausnahmslos“ – vor dem Hintergrund der Frankfurter Nachkriegsgeschichte ist es notwendig, das zu unterstreichen. Jahrzehntelang wurde unter dem ebenfalls der SPD angehörigen Planungsdezernenten Hans Kampffmeyer mit Sondergenehmigungen gebaut und dadurch die Spekulation angeheizt. Die lange nicht nach außen dringenden Planungen der Stadtverwaltung zugunsten privater Investoren hatten auch nach dem Rücktritt von Kampffmeyer zu Beginn der 1970er-Jahre das Vertrauen der Bevölkerung mehr als strapaziert.
Was also lässt sich langfristig planen, wodurch entsteht vitale Vielfalt? In welchem Stil, für wen und über welchen Zeitraum hinweg lassen sich die baulichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in einer Stadt überhaupt steuernd planen?
Der langjährige Leiter des Stadtplanungsamtes Hans-Reiner Müller-Raemisch beschreibt die in Deutschland anzutreffenden Voraussetzungen für lokale, städtebauliche Gesamtplanungen bereits vor 20 Jahren als äußerst verwirrende Materie.
Die Unübersichtlichkeit rührt „nicht zuletzt von der Fülle der Planbenennungen her, die je nach dem gerade zugrunde liegenden Gesetz immer neue, fantasievolle Namen tragen.“
Was indes von außen betrachtet wie Stillstand und Untätigsein der Stadtverwaltung aussehen mag, sei in der Regel die langwierige Detailplanung, die sich mitten im Arbeitsprozess befindet. Müller-Raemisch beschreibt seine Erfahrungen im Amt: Ein nach zehn Jahren rechtskräftig gewordener Flächennutzungsplan habe zum Beispiel eine Abstimmung mit den „auf fast 100 Institutionen angewachsenen ‚Trägern öffentlicher Belange‘ benötigt.“
Es sei nicht verwunderlich, dass nach der Zeit, die zwischen Entwurf und Inkrafttreten der Pläne verstreicht, nach „abgelegten Leitbildern und Situationen von gestern“ gehandelt wird.
Wie hat man sich also eine gut gebaute und gut regierte Stadt vorzustellen? Auseinandersetzung und Streit darüber, aber auch Klärungsprozesse zum städtischen Wandel, die das Verhältnis zur Stadt und zur Geschichte immer wieder neu bestimmen, gehören zum stadtplanerischen Alltag. Frankfurt am Main hatte lange Jahre den Ruf weg, es unterstütze politisch gebaute Spekulation und den Ausverkauf seiner städtischen Altsubstanz.
Von diesem negativen Bild hat sich die Stadt in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder zu lösen versucht. Und dennoch bietet sie ein Anschauungsobjekt, ja ein gebautes Lehrbuch für zeittypische Maximen, Fehlschläge und Missverständnisse.
Frankfurt gilt als Hauptstadt des Leerstandes
Soziale Probleme und Wohnungsnot werden nicht geringer. Die Notwendigkeit der Planung für wichtige Kernaussagen steht außer Frage, nicht aber, sie auf alle Zeit festzuschreiben. Denn der kulturelle, digitale und demografische Wandel kann innerhalb von planerischen Sequenzen stattfinden.
Zu den Problemen der Stadt gehört der Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Öffentliche Plätze und damit nicht kommerziell genutzte Flächen, die in der Innenstadt zum Verweilen einladen, fehlen. Für die Expansion der Stadt gibt es zu wenig Fläche.
Die alte Handelsstadt kann auf eine geschichtlich bedeutende Vergangenheit zurückblicken: Frankfurt erhielt im 13. Jahrhundert das Messeprivileg, wurde Krönungsstadt der deutschen Kaiser. Im 19. Jahrhundert wurde die erste demokratische Verfassung für das Deutsche Reich in der Frankfurter Paulskirche beschlossen. Nachdem der Schock über die Kriegsschuld, das Ausmaß der Zerstörung und die Verbrechen der NS-Zeit abgeklungen war, wurde diese bedeutende Vergangenheit gerne beschworen, um einen spezifisch Frankfurter Anspruch auf Exklusivität zu untermauern.
Die Hochhauskulisse der Bankenmetropole Frankfurt am Main ragt hinter dem Stadtteil Sachsenhausen hervor.
Das schwang nach, als man wie selbstverständlich davon ausging, die Hauptstadt der jungen Bundesrepublik zu werden, und selbstbewusst schon einen Plenarsaal baute. Das prägt das Selbstverständnis der Stadt, die sich als ein Laboratorium versteht, in dem früher als in anderen deutschen Städten auch negative gesamtgesellschaftliche und architektonische Entwicklungen abgelesen werden können. Und es wird sichtbar im permanent erhobenen Anspruch, wenn schon nicht Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland sein zu können, so doch zur „Bundeshauptstadt“ von diesem und jenem berufen zu sein: zur Stiftungs-Hauptstadt oder zur wegweisenden Hauptstadt in Sachen Energieeffizienz oder „Passivhaus-Bundeshauptstadt“. Auch das Etikett „Global city“ wird gerne benutzt, man versteht sich als weltoffene und vor allem auch als tolerante Stadt. Frankfurt gilt allerdings auch als Hauptstadt des Leerstandes, da skrupellos mit Bürofläche spekuliert wurde.Soziale Probleme und Wohnungsnot werden nicht geringer
Unbestritten ist Frankfurt, das 2017 voraussichtlich schon 750.000 Einwohner zählen wird, nach London die führende Finanz- und Handelsmetropole in Europa. Mit der Ansiedlung der Bank deutscher Länder, die in den späten 50er-Jahren dann Bundesbank wurde, sowie mit der schnellen Wiederinbetriebnahme des Flughafens schuf die damalige amerikanische Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg die Voraussetzungen. Verwaltungszentren von Banken und Versicherungen und der Sitz der neu gegründeten Europäischen Zentralbank in Frankfurt trugen Ende des Jahrhunderts im Zuge der Globalisierung das ihrige dazu bei. Jetzt verspricht sich die Stadt vom Brexit den Zuzug von weiteren Geldhäusern.
Auf die in Deutschland einzigartige Hochhausskyline der Bank- und Bürotürme ist man inzwischen stolz. Auch wenn sie weltweit gesehen immer noch eher zurückhaltend anmutet.
Donald Trump wollte einen 395 Meter hohen Turm bauen
Seit Kriegsende wurden mehr als 500 Hochhäuser erbaut, das höchste, der Commerzbankturm, ragt 260 Meter in den Himmel. Einige der Hochhäuser wurden von bekannten Architekten wie Christoph Mäckler, Coop Himmelb(l)au oder Norman Foster entworfen. Donald Trumps Vorhaben, einen mehr als 395 Meter hohen Turm in Frankfurt zu errichten, wurde indes nicht verwirklicht – die Genehmigung aber liegt vor. Schiere Höhe als Statussymbol scheint nach der Finanzkrise nicht mehr alles zu sein.
Der in Deutschland einzigartige Hochhausbau wurde nach dem Krieg zunächst an ausgewählten Standorten begonnen. Er zeichnete das kühle Gesicht der City im Bankenviertel und nahm schnell und mit vielen Ausnahmebewilligungen von den Bebauungsplänen Fahrt auf. Nach harten Auseinandersetzungen im „Frankfurter Häuserkampf“ im Westend der 70er-Jahre und mehr oder weniger tief greifenden Lernprozessen in Sachen Bürgerbeteiligung, Transparenz und Umgang mit dem historischen Erbe ist inzwischen die vierte Hochhausgeneration, die sich mit je eigenen Merkmalen von ihren Vorgängern unterscheidet, herangewachsen.
Die Nachkriegshochhäuser der sogenannten ersten und zweiten Generation wurden inzwischen größtenteils abgerissen. Oder maSoziale Probleme und Wohnungsnot werden nicht geringern hat sie mit neuer Fassade nicht immer glücklich nach aktuellem Zeitgeschmack und unter Klimaschutzgesichtspunkten modernisiert. Auch denkmalgeschützte Werke der Nachkiegsmoderne wie das Frankfurter Rundschauhaus oder ein Verwaltungsgebäude von Egon Eiermann mussten Investoreninteressen weichen. Ebenfalls in den Nuller-Jahren fiel das aparte Zürich-Haus, das neben der in den 1980er-Jahren erst wieder instandgesetzten, kriegsversehrten „Alten Oper“ stand. Als Grund genügten, wie in Dieter Barteztkos „Architekturführer Frankfurt“ nachzulesen ist, Drohungen des Investors, andernfalls den Standort aufzugeben. Kurz darauf ging der Investor pleite und das Gelände lag lange Jahre brach, ebenso wie die Lücke, die das Rundschau-Gebäude gerissen hatte. Erst der 2009 errichtete Opernturm von Christoph Mäckler setzte einen neuen städtebaulichen Akzent im Zentrum.
Fehleinschätzungen sind in Frankfurt nicht selten: Die Abhängigkeit von der Gewerbesteuer ist hoch und besonders diese Einnahmen sichern den finanziellen Reichtum der Stadt.
Für das Jahr 2017 beträgt dass projektierte Haushaltsdefizit dennoch mehr als 200 Millionen Euro, Tendenz steigend. Begründet wird das bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs mit der Reform des Kommunalen Finanzausgleichs sowie kommenden Ausgaben für Flüchtlinge und Soziales: Man geht davon aus, dass zur Zeit um die 5.000 Geflüchtete in der Stadt leben.
„Auf Banken kann man nicht stolz sein oder sie sogar lieben. (..) Die Politik, die den Finanzplatz stützen muss, legitimiert sich nicht damit, dass das, was für die Banken gut ist, für alle Frankfurter gut ist“, beschreibt die Sozialwissenschaftlerin Marianne Rohde in einem Aufsatz das besondere Frankfurter Dilemma. Seit den vehementen Protesten in den 1970er- und 80er-Jahren gegen den Abriss von Gründerzeitvillen zugunsten von monotonen Bürotürmen im Frankfurter Westend stellt sich die Stadt die Frage, ob es ausreicht, Wirtschaftserfolg auf Dauer als identitätsstiftenden Faktor zu kultivieren. Dies geschieht mit mal mehr, mal weniger Affinität zu den Maximen der immer weiter um sich greifenden Logik des Marktes.
Der gesichtslose Europa-Boulevard trägt den Spitznamen „Stalinallee“ davon
Lange vor der Bankenkrise haben städtebauliche Neuorientierungen hier Gegengewichte geschaffen. In den 80er-Jahren wurde unter dem Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann das Museumsufer entlang des Mains verwirklicht. Auch begann man erstmals, die vergangene Stadtgestalt, von der man sich in der Nachkriegszeit so nüchtern und entschlossen glaubte verabschieden zu dürfen, zu rekonstruieren: Eine Zeile von Fachwerkhäusern am zentralen Römerplatz, mit aus dem Elsass beschafften historischem Baumaterial bildete den Auftakt.
Bis heute sind die Investitionen der Stadt in die Förderung von Kultur besonders hoch. Frankfurt besitzt eine lebendige Szene von freien Kunstprojekten und Techno-Clubs. Die Kulturförderung begleitete der Wunsch des Wirtschaftsderzernats und des Stadtmarketings, zu Beginn des Jahrtausends auch eine finanzstarke „Kreativwirtschaft“ dauerhaft anzuwerben. Zunächst wurden einzelne, kommerzielle Events von städtischer Hand gefördert. Der Begriff Kreativwirtschaft umfasst nun in Frankfurt auch die Games-Industrie und die SoftSoziale Probleme und Wohnungsnot werden nicht geringerwarebranche. Frankfurt hat diesen Zweig erstmals 2008 mit einem „Kreativwirtschaftsbericht“ ausgewiesen. Damit ist er in Zahlen sichtbar geworden und kann als Faktor in die Lokalpolitik eingebracht werden.
Für das städtische Engagement in Sachen Kreativwirtschaftsförderung heißt das, dass man ausgewählte, dem subkulturellen Spektrum zuzuordnende, ehrenamtlich organisierte Veranstaltungen durchaus begrüßt. Aber finanziell fördert man diese dennoch nicht adäquat:
Iris Dzudzek monierte in ihrer 2016 erschienenen Studie zur Frankfurter „Kreativpolitik“, im Stadtteil Ostend habe die Szene nur den unfreiwilligen „Ausgangspunkt einer baulichen Aufwertung zu einem kreativen Zentrum“ gebildet. Unorthodoxe, fantasievolle Kulturschaffende gingen dabei, wie so oft, leer aus. Stattdessen verdienten Investoren wie Ardi Goldman Millionen; er griff frühzeitig auf das Quartier zu. Viele kleine Projekte mussten in erschwinglichere Stadtteile abwandern, ein klassischer Fall von Gentrifizierung.
2012 wurden die städtischen Ausgaben zur Eventförderung für das umworbene Klientel finanzstarker Kreativunternehmen eingestellt. Die Branchenevents der Kreativen hielten der Stadt indes nicht die Treue, sondern zogen in andere Städte weiter. Für weniger gut verdienende Unternehmungen aus der Kultur und Kreativwirtschaft wurde RADAR, eine Leerstandsagentur, eingerichtet. Den knappen städtischen Raum müssen sich jetzt Kunstschaffende mit Kreativen teilen. 48 geförderte Ateliers nur für Künstlerinnen und Künstler gibt es 2017 im Frankfurter Atelierprogramm.
Zu den in den letzten Jahren neu bebauten Stadtquartieren Frankfurts zählt das Europaviertel. Es ist seit 2006 im Bau. Der zentrale Straßenzug mit dem wohlklingenden Namen „Europa-Boulevard“ bleibt so gesichtslos, dass er schon den Spitznamen „Stalinallee“ davonträgt.
In diesem Stadtviertel, das auf dem Gelände des ehemaligen Hauptgüterbahnhofs an der Messe entsteht und das voraussichtlich 2020 fertiggestellt sein wird, sind Wohnungen für 10.000 Menschen vorgesehen. Fast ein Drittel der Wohnungen wird finanziell gefördert. Wie so oft wichen auch hier gute Vorsätze dem ökonomischen Denken: Wo eigentlich ein Kulturzentrum vorgesehen war, erstreckt sich die flirrend leuchtende Fassade der Einkaufs-Mall „Skyline Plaza“.
Frankfurt wächst und wächst
Spektakulär indes ist der architektonische Auftakt des Viertels: Zwei neue Wohntürme entstehen, einer davon der 200 Meter hohe „Tower 185“, entworfen vom Frankfurter Architekten Christoph Mäckler.
Architekturkritiker Dieter Bartetzko bescheinigte dem Tower eine „einprägsame herrische Kontur“. Christoph Mäckler selbsSoziale Probleme und Wohnungsnot werden nicht geringert hat 2016 in einem Artikel in der „FAZ“ den fehlenden städtebaulichen Anspruch des Europaviertels beklagt: Die Qualitäten des öffentlichen Raumes mit Plätzen, die von Häusern gesäumt werden, deren Fassaden wohlproportioniert sind und sich den Passanten zuwenden, würden in Architektenausbildung und Stadtplanung vernachlässigt.
Die Kritik ist so wohlfeil wie kurz gegriffen, denn es gilt auch insgesamt demokratischer gewordene Lebensumstände, gestiegene Löhne, kürzere Arbeitszeiten zu bedenken.
Es ist den Partizipationsprozessen und gesetzlichen Regelungen zu verdanken, die sich gegenüber der Blütezeit der derzeit von Architekturtheoretikern in ihren Schriften gerne als Ideal beschworenen „Europäischen Stadt“ durchaus auch zum Guten verändert haben.
Auch die Verkehrsentwicklung stellt für Pendler-Städte wie Frankfurt ein immenses Problem dar. Albert Speer junior, dessen Büro das gescholtene Europaviertel konzipiert hat, beschrieb vor 20 Jahren Ähnliches wie jüngst sein Kritiker Mäckler. Damals plante Speer das Museumsufer neu und mahnte als hehres Ziel der Stadtplanung vor 20 Jahren ein grundsätzliches Umdenken an:
„Die (…) Nivellierung von nationalen und regionalen Einheiten auf allgemeingültige Normen und Standards“ hätte nach den Fehlern in der Vergangenheit zu einem „Wertewandel“ geführt. Man wolle jetzt wieder den „genius loci“ pflegen, an dem man sich auch räumlich orientieren kann, „sichtbar gemacht als spezifisches Fluidum dieser Stadt und keiner anderen.“
Bezogen auf das lange Zeit verrufene Frankfurter Bahnhofsviertel, für das man jetzt nach Konzepten zur Umwidmung leer stehender Räume sucht, liest sich das in der offiziellen Darstellung der Stadt heute folgendermaßen:
„Mit einem ganzheitlichen Ansatz soll das Bahnhofsviertel als Wohnstandort gestärkt (…) werden. Dabei muss auch den bestehenden Nutzungen durch die Drogenszene und dem Rotlichtviertel Rechnung getragen werden.“
Auch auf diese Weise kann man problematische Milieus umarmen. Die Außendarstellung der Stadt versäumt es selten, auch auf die unübersehbar negativen Seiten der Stadt hinzuweisen. Sie versteht das stets so darzustellen, dass sie eben zur Vielfalt des schnell sich entwickelnden städtischen Lebens, zum Preis der Urbanität, einfach dazugehören.
Frankfurt wächst und wächst. Kritik jedenfalls wird zu jeder Zeit an fast jedem neuen Bebauungsvorhaben Frankfurts geübt: am neuen Altstadtviertel, an der Entwicklung im Ostend und am Europaviertel. Dem Stadtteil Riedberg, der im Nordwesten Frankfurts auf einer bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche bis 2020 6.000 Wohneinheiten mit rund 16.000 Einwohnern zusammenbringt, werden zum Beispiel Konzeptionslosigkeit und ästhetischer Wildwuchs vorgeworfen. Das Areal am neu konzipierten Westhafen ist zwar architektonisch ansprechend bebaut, jedoch der Kritik wahlweise etwas zu schick oder zu dicht geraten. Das Gebiet am Frankfurter Flughafen mit dem Namen „Gateway Gardens“ wird wegen des Fluglärms keine Wohnstadt, sondern eine weitere, reine Bürostadt, allerdings mit eigenem S-Bahn-Anschluss und architektonischen Solitären renommierter Architekten, so die Entwürfe der Wettbewerbsgewinner umgesetzt werden.
Viele Bürger wohnen 2030 vielleicht gar nicht mehr in der Stadt
Der neue, baumbestandene Campus Westend im historischen Gelände des I.G.-Farben-Konzerns ist ein hart umkämpfter Erinnerungsort der Architektur. In das imposante Zentralgebäude, von Hans Poelzig um 1930 entworfen, zog nach Kriegsende die amerikanische Militärverwaltung. „Der schönste Campus aller deutscher Universitäten“ ist eine eigene Welt, auf dem die Universitätsleitung per Faltblatt zur „Sicherheit auf dem Campus“ aufruft, da sich Studierende außerhalb der Kernzeiten auf dem weitschweifigen Gelände auch unwohl fühlen können.
Derzeit befragt die Stadt für ein „integriertes Stadtkonzept 2030“ in mehreren Stufen stadtteilbezogen die Bürgerinnen und Bürger von Frankfurt am Main nach ihren Wünschen. Sie wünschen mehr bezahlbaren Wohnraum, aber möglichst wenig Nachverdichtung der Quartiere, soziale Teilhabe, nicht kommerzielle Treffpunkte, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Radfernwege, aber auch Parkplätze stehen ebenso auf dem Wunschzettel.
Trotz des hohen Aufwandes, den die Stadt betreibt. Viele ihrer Bürger wohnen 2030 vielleicht schon nicht mehr in der Stadt, denn die Fluktuation ist hoch. Planungsdezernent Mike Josef dämpft hochfliegende Erwartungen an die Erfüllung aller Wünsche: Bürgerbeteiligung, heute Partizipation, sei zwar „ein wichtiges Element, damit gute Ideen aus der Bürgerschaft in Planungen einfließen können und sie Akzeptanz in der Öffentlichkeit erlangen.“
Aber im Interview mit der Zeitschrift „Planen und Bauen“ gibt Josef im Herbst 2016 klar zu verstehen: Zu den Spielregeln gehöre, dass letztendlich die Stadtverordnetenversammlung entscheide.
Und wie sieht es da mit den guten Ideen aus, gibt es womöglich einen Anspruch auf Urheberschaft für alternative Entwürfe zur Stadtplanung? Diese Frage mag seltsam erscheinen. Angemahnt wurde sie im vergangenen Jahr, als die Idee eines zusammenhängenden Grüngürtels am Mainufer neu diskutiert wurde.
Soziale Probleme und Wohnungsnot werden nicht geringer
„Aktion Plagiarius“, ein Team um den Hochschullehrer und Architekten Till Behrens, wehrt sich gegen die städtische Vereinnahmung einer Idee, die Behrens vor über 40 Jahren formuliert und ausgearbeitet hat. Sie wurde von Bürgerinitiativen und Vertretern des Werkbundes eingefordert und schließlich von ihm als Dissertation eingereicht. Dennoch wurde Till Behrens mit seinen Mitstreitern lange Zeit in Publikationen zur Stadtplanung nicht als Urheber der Grüngürtel-Idee genannt. Anderen Vordenkern wurde der Vorzug gegeben wie dem legendären Stadtbaudirektor Ernst May, dem Frankfurt seinen Vorkriegsruf verdankt, nicht nur eine prächtige Bürgerstadt zu sein, sondern auch eine Vorzeigestadt gesunden und modernen Bauens.
Eine solche Diskussion, in der es um das Wohl der Stadt geht, ist nur vor dem Hintergrund der derzeitigen Urheberrechtsstreitigkeiten im Bereich des öffentlichen Raumes zu verstehen. Mitunter ist die Vorstellung darüber sehr weit gefasst, was man meint, sich alles privat schützen lassen zu können, und wo die Interessen der Öffentlichkeit überwiegen. Denn die öffentlichen Interessen am Wandel einer Stadt haben beim ins Werk setzen und der Realisierung Vorrang vor der Reinheit eines Planes, den die Stadt nicht beauftragt hat, der aber in die Öffentlichkeit eingebracht wurde.
Der Grüngürtel ist inzwischen fast geschlossen und bildet ein Landschaftsschutzgebiet. Und die Stadt hat dazugelernt: Sie nennt auf ihrer Webseite inzwischen nicht nur Ernst May, sondern auch den Architekten Till Behrens als Initiator des wegweisenden Grüngürtel-Vorhabens.
Die Stadt versucht nach Möglichkeit, bei ihren Projekten nicht wieder allzu verhärtete Fronten zu schaffen, erkennt den Vorteil vielfältigerer Stadtlandschaften und geht insgesamt, wenn auch oft erst nach aufkommenden Protesten, etwas umsichtiger vor. Soziale Probleme und Wohnungsnot werden durch kostspielig-nostalgische Prestigeprojekte wie die neue Altstadt indes nicht geringer. Ob Frankfurt mit der neuen Altstadt nicht wieder einmal in altbekannter Manier dem momentanen Zeitgeist einen zu hohen Tribut gezollt hat, wird sich in den nächsten Jahrzehnten erweisen.
zuerst gesendet im Deutschlandfunk am 30.07.2017 in der Reihe Essay und Diskurs