Eine Zeichenordnung parallel zur Natur

26Bernd Stiegler über Theoriegeschichte und Metaphern der Fotografie

„Wir glauben nicht länger an die Objektivität der Photographie, wohl aber daran, daß Photographien in spezifischer Weise unsere Wirklichkeit sind“, schreibt Bernd Stiegler am Ende seiner fast 500 Seiten fassenden Abhandlung zur „Theoriegeschichte der Photographie“.

Eine gründliche Aufarbeitung der Geschichte der Fotografietheorie ist längst überfällig. Schon seit mehr als 20 Jahren ist Wolfgang Kemps Sammlung historischer Essays zur Fotografiegeschichte, in den 90er Jahren ergänzt durch Hubertus von Amelunxens Anthologie zeitgenössischer Texte auf dem Markt, sie werden bei Schirmer/Mosel noch in dieser Saison wieder aufgelegt werden. In jüngster Zeit erschien bei Suhrkamp Herta Wolfs zweibändiges Kompendium mit Essays, welche die Fotografie auch im Kontext wissenschaftlicher und kriminalistischer Gebrauchsweisen reflektieren.
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Historizität des Objektiven

36Die Geschichte der wissenschaftlichen Anwendung der Fotografie ist Gegenstand des zweiten Essaybands, der unter Herta Wolfs Herausgeberschaft im Suhrkamp Verlag erschienen ist.

Auch in dieser Sammlung finden sich einige Aufsätze aus den frühen 90er Jahren, die ihrerseits in erster Linie von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse sind. Sie zeigen einmal mehr, wie postmoderne Theorien allzu direkt auf das Beispiel Fotografie angewendet, zwar ihre Aussage plakativ illustrieren, aber doch dabei ihren Gegenstand zur austauschbaren Kleiderpuppe der Theorie werden lassen. Weiterreichende Erkenntnisse vermitteln die Aufsätze, die wissenschaftsgeschichtliche Detailstudien vornehmen und damit den Blick für die Historizität wissenschaftlicher Kriterien schärfen. „Objektivität“ beispielsweise ist eine von Anbeginn an der Fotografie zugeordnete Eigenschaft, die im 19. Jahrhundert den Anspruch auf ideale „Naturwahrheit“ ablöst. Weiterlesen

Kritische Stimmen zur Fotografie

38Eine Sammlung von 20 Essays zur Fotografietheorie mit einem Schwerpunkt auf der amerikanischen Diskussion in den 80iger und 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts hat Herta Wolf vorgelegt.

Der erste Band (ein zweiter ist in Vorbereitung) setzt mit philosophischen Betrachtungen zum Gebrauch der Fotografie als Metapher ein. Diese eröffnen Einblicke in die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Geschichte des Sehens. Wie Jonathan Crary eindrucksvoll darlegt, konnte für Descartes die Camera obscura zum Modell für objektives Sehen werden, welches von der Unzuverlässigkeit der sinnlichen Wahrnehmung absieht. Das Bild des fotografischen Negativs diente für Freud hingegen, so Sarah Kofman, zur Illustration der Arbeit des Unbewussten. Der Frage ob Fotografie als Kunst zu betrachten sei, wird mit einem Aufsatz begegnet, der die juristische Auseinandersetzung um Urheberrechtsfragen nachzeichnet. Mit einer kritischen Würdigung der Arbeit André Malraux‘ durch Rosalind Krauss wird dann die Bedeutung der Fotografie für die Kunstgeschichte diskutiert. Malraux‘ Überlegungen zu einem „imaginären Museum“, das aus einer fotografischen Inventarisierung der Weltkunst besteht und so Vergleiche zwischen entfernten Werken und Detailansichten ermöglicht, zeigen auch die offensive Nivellierung, die Fotografie mit den Originalen vornimmt. Sie verändert Maßstäbe und bringt dem Auge des Betrachters Unzugängliches in ihren Aufnahmen zur Sichtbarkeit. Dem Museum und besonders der Fotografieabteilung des Museum of Modern Art in New York gilt ein weiterer Schwerpunkt des Buches.
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