In der legendären Becherklasse für Fotografie unterrichtet worden zu sein, ist der Karriere nur bedingt förderlich: Gerade Frauen werden bis heute gerne als deren „Schülerin“ wahrgenommen, sodass man sich wenig darum bemüht, ihre Bildideen, ihre Themen und ihre Ästhetik als eigenständige künstlerische Position zu würdigen. So auch im Fall von Tata Ronkholz, die obendrein aus finanziellen Gründen nur wenige Jahre ihre künstlerische Arbeit intensiv verfolgen konnte. Kennerinnen verbinden ihr Werk vor allem mit den „Trinkhallen“, den kleinen Büdchen im Kölner Raum und im Ruhrgebiet, die eine Mischung aus Kiosk und erweitertem Wohnzimmerausschank sind, Ronkholz’ Archiv umfasst dazu Hunderte von Schwarzweiß-Aufnahmen. Sie zeigen inmitten zeitspezifischer architektonischer Tristesse einen banalen, aber grell ins Auge fallenden Ort, an dem in der Fülle der auf kleinstem Raum zur Schau gestellten Illustrieren, dem Potpourri von Tabakwerbung und buntem Süßkram, im Zusammenspiel von Typografie und Bild ein Hauch von Werthaltigkeit zu spüren ist. Und dies, obwohl keine Menschen zu sehen sind. Letzteres kann man auf die Bechers zurückführen oder auf den ganz spezifischen beruflichen Hintergrund, den die Ausstellung in der SK Stiftung Kultur thematisiert und dem Julia Reich in einem Essay des Katalogs nachgeht: Ronkholz war Innenarchitektin und eine avantgardistisch- konstruktivistisch arbeitende Möbeldesignerin, die auch Produktfotografie betrieb – in menschenleeren Räumen. „Das Büdchen um die Ecke“, so Ronkholz, wolle sie in ihrer „ganzen Liebenswürdigkeit“ zeigen, man könnte sagen als eine Art von Erholung für ein an strenger Formensprache und visueller Beherrschtheit geschultes Auge. Ihren Sinn für elementare architektonische Formen und Details hatte sie zuvor schon in Aufnahmen aus der Toskana fotografisch unter Beweis gestellt, hier werden Ausschnitte von der Verwitterung ausgesetzten sakralen Bauten gezeigt, ihre steinernen Rundbögen, Friese und schwarzweißen Marmorbänder kontrastieren mit dem Straßenpflaster. Die Bildsprache ist klar und wohlüberlegt.
WeiterlesenArchiv der Kategorie: Architekturthemen
Sacred modernity

Kirchenneubauten der Nachkriegszeit und der sich anschließenden Jahrzehnte, in denen die Gemeinden wenig Schwund oder sogar Zuwachs erfuhren, liefern ein jedermann zugängliches Kompendium für die Formensprache moderner Architektur. Es gilt in dieser Zeit einige, aber nicht zu viele Anforderungen beim Bau einer Kirche zu befolgen, was ihre Funktion angeht, die Abhaltung von Gottesdiensten, sowie einige liturgische Vorgaben. Zeitweise eröffnete sich recht viel Spielraum, man war von kirchlicher Seite durchaus daran interessiert, im Sakralbau mit der Zeit zu gehen.

Spätestens, wenn man den Band „Sacred Modernity“ von Jamie McGregor Smith in die Hand nimmt – er fotografierte vorwiegend in Deutschland, Italien, Polen, der Schweiz und in Österreich (mit Fokus auf Wien, wo der Smith seit 2018 lebt) – wird man sich des architektonischen Reichtums moderner Kirchengebäude bewusst.
WeiterlesenThomas Kellner: Kapellenschulen
Das bei Seltmann Publishers erschienene Fotobuch Kapellenschulen – Chapels Schools – Auf den Spuren der nassauischen Grafen Wilhelm I. und Johann VI. erschien 2022. Mit Beiträgen von Dr. Andrea Gnam, Dr. Stefanie Siedek-Strunk, Isabell Eberling, Chiara Manon Bohn und Thomas Kellner

Thomas Kellners Werkkomplex lädt dazu ein, mit dem außergewöhnlichen Blick auf architektonische Details, auf die Gesamtgestalt, die Maßverhältnisse und Proportionen der fotografischen Neuformulierung, Interesse für die Mühen und die Bedeutung des Bildungswesens im ländlichen Raum zu wecken, welches ja den kulturellen Hintergrund, den „Humus“ des architektonischen Phänomens Kapellenschule bildet. (Auszug aus meinem Begleittext „Kappellenschulen: künstlerische Reflexion einer ländlichen Tradition“ im Buch)
Gspell 111. Bergbauern in den Alpen – die letzten ihrer Art
Umfangen von Hochnebel und verhaltenen Sonnenstreifen, die über die alpinen Steilwiesen streifen, liegt, an den Hang geschmiegt, der Südtiroler Hof „Gspell 111“. Ihn gibt es schon seit Jahrhunderten, ein dreistöckiges, verputztes Steinhaus, innen holzvertäfelt, angrenzend eine große Scheuer. Die Bewohner sind Bergbauern, ein älteres Ehepaar, einer der vier Söhne ist auf dem Hof geblieben, die Frau verbrachte die Wintermonate mit den schulpflichtigen Kindern unten im Tal. Roland Reinstadler, dessen Vater in der Nachbarschaft aufgewachsen ist, und der im Lauf der Arbeit weiteren familiären Verflechtungen nachspürt, hat die Drei über das Jahr bei Arbeit, Haushalt und Andacht fotografisch begleitet.

Im Herbstprogramm 2022 des Wasmuth & Zohlen Verlags
Hervorgehoben

„Vom Reiz der Peripherie. Architektur und Fotografie“ 131 S., 11 Abbildungen mit Fotografien von Joachim Schumacher, Gerhard Vormwald, Inge Rambow, Jean Claude Mouton, Christian v. Steffelin, Philipp Meuser, Loredana Nemes, Ralf Schmerberg, Elger Esser, Julia Kissina, Karsten Hein, 24.80 €
ISBN 978-3-8030-3420-5, Berlin 2022
bestellbar und erhältlich im Buchhandel
Peripherie zeigt unterschiedliche Gesichter: Oft ist sie nur Resultat achtloser Planung. Manchmal indes begegnen wir innerstädtisch wachsender Peripherie in einem Zustand der Schwebe, in welchem Altes in Neues übergehen kann – ein Zwischenreich noch unausgeschöpfter Möglichkeiten fern des Zwanges zur ästhetischen Optimierung. Fotografie weiß Dinge zu zeigen, die wir ohne sie nicht sehen würden. Ganz besonders berührt uns das in fotografischen Arbeiten, die sich dem eigentlich Vertrauten widmen, der Peripherie, den Plattenbauten, Städten im Ruhrgebiet, dem strukturschwachen ländlichen Raum, dem Alltag in Deutschland, wie ihn Dokumentarfotografinnen sahen, die noch als Kind den Weltkrieg erlebt hatten.
All dies, mit einem Exkurs zu Blinden in der Fotografie, zeigt Kapitel für Kapitel welche Bedeutung architektonisch gestalteten oder vernachlässigten Räumen in unserem Leben zukommt, wie sie unsere Erinnerung bestimmen und welche wichtige Rolle hier die Fotografie einnimmt.
Das Buch hat beim deutschen Fotobuchpreis 2023/24 eine Bronzemedaille erhalten.
Einige Reaktionen auf das Buch
Eine schöne und informative Rezension von Michael Kröger zu meinem Buch „Vom Reiz der Peripherie“ befindet sich im Kunstbuchanzeiger.
Eine wunderbare Rezension von Ruth Asseyer befindet sich auf Kulturport.de.
Christian Holl empfiehlt in „Marlowes“ (Online-Magazin für Architektur und Stadt) in seiner Besprechung Stadt lesen, Stadt sehen unter anderen mein Buch.
In einer Sendung Büchermarkt des Deutschlandfunks werden in einem Gespräch zwischen Wiebke Porombka und Stefan Koldehoff Veröffentlichungen von Peter Bialobrzeski und mir vorgestellt.
Auf der Website mit Rezensionen des Instituts für Theater, Film und Medienwissenschaft der Universität Wien stellt David Krems kenntnisreich das Buch vor („Wer sich mit Fotografiegeschichte beschäftigt, kommt daran nicht vorbei“).
In einen sehr aufschlussreichen und interessanten Zusammenhang stellt Niklas Maak mein Buch in seinem am 19.11.2023 in der FAZ erschienenen Beitrag „Neue Heimat“: F-A-S-19.11.202334-Neue-Heimat-Niklas-Maak.pdf
Katharina Gruzei: Mir Metro
Einen atemberaubenden fotografischen Streifzug durch die Moskauer Untergrundbahn bietet Katharina Gruzei mit ihrem Fotobuch „Mir Metro“.

Ihr durchdacht gestaltetes, ja geradezu rhythmisch getaktetes Buch zeigt Aufnahmen, die zwischen 2008 und 2020 entstanden sind. Historische Fotografien in Schwarz-Weiß und glänzend geschriebene Essays zur Baugeschichte und zum utopischen Potential der Metro in der früheren Sowjetunion begleiten die Farbbilder. Ihre Fülle ist überwältigend, wir bewegen uns mit ihnen durch die Architekturgeschichte der Stationen und Pavillons, die vom Pomp bei Material und Ausstattung zur Stalinzeit über zurückhaltende Ornamentik bis hin zu kühnen Deckenkonstruktionen reicht.
WeiterlesenDark Whispers von Beatrice Minda
Nach „Innenwelten“, einem Band, der sich Wohnungen von Rumänen und Exilrumän*innen widmet und einer Arbeit über Interieurs im Iran, wendet sich Beatrice Minda in einem weiteren Werkkomplex Innenräumen zu, die unserem Auge fremd anmuten.
Mit „Dark Whispers“ bekommen wir Einblicke in Behausungen auf Myanmar, das Beatrice Minda kurz vor dem Militärputsch bereiste. Der Begriff „Behausung“ beschreibt am besten, was wir im vom Kolonialismus und Militär geplagten Land, dem einstigen Burma, zu sehen bekommen: Es sind einfache, aus Bambus geflochtene Hütten, aber auch heruntergekommene Villen von ehemals wohlhabenden Händlern und Farmern aus England, China und Indien. Weiterlesen
Fotobuch von Thomas Kellner zu Fachwerkhäusern des Siegener Industriegebiets heute
Im Verlag Seltmann Publishers erschien so eben das Fotobuch zu Fachwerkhäusern des Siegener Industriegebiets heute von Thomas Kellner parallel zu einer Ausstellung seiner Bilder. Den Begleittext zu dem Band habe ich geschrieben.
Den Band gibt es als Paperback- und als Hardcover-Ausgabe.
Von der Paperback-Ausgabe gibt es 100 Stück beim Verleger.
Von der Hardcover-Ausgabe gibt es 95 Stück, die mit einem print zusammen beim Fotografen zu beziehen ist.
Ausstellung von Thomas Kellner in der Art-Galerie in Siegen
Online gehaltene Rede zur Ausstellungs-Eröffnung am 14.02.2021:
Ich begrüße Sie zur Ausstellung von Thomas Kellner in der Art-Galerie in Siegen, der Stadt in der Thomas Kellner seit Jahrzehnten lebt und arbeitet.
Wer mit Leib und Seele in der Geschichte der Fotografie zuhause ist, wird sich nicht wirklich darüber wundern, weshalb Thomas Kellner, gerade in Siegen sein Atelier unterhält. International als Fotograf unterwegs ist er für seine Architekturaufnahmen von berühmten Bauwerken bekannt geworden. Selbst ein begeisterter Tänzer, scheint er auf seine Weise mit Kompositaufnahmen, die ein Bauwerk Stück für Stück segmentieren und leicht schwingend wieder zusammensetzen, Philosophie und Kunstgeschichte zum Tanz zu bitten. Mit seiner Profession hätte ihm die ganze Welt offengestanden. Als Fotograf, der konzeptionell arbeitet und eine akademisch-künstlerische Ausbildung genossen hat, wählte er dennoch eine recht überschaubare Universitätsstadt zu seinem Lebensmittelpunkt. Und das ist wohlbegründet und gut so – und war, wie Thomas Kellner darlegt, nicht nur eine private Entscheidung. Ein ganz besonderes Band verbindet ihn mit Wohnsitz und Arbeitsstätte, Sie werden es erraten: Gleich drei für das zwanzigste Jahrhundert überaus folgenreiche Akteure, die zwei voneinander unabhängige ästhetische Positionen entwickelt haben, verdanken ihre Inspiration der, nennen wir es der Einfachheit halber „Provinz“ – ohne es jetzt despektierlich zu meinen, sondern lediglich in Abgrenzung zum Kulturgeschehen in den „Metropolen“. Da wäre zunächst August Sander zu nennen. Weiterlesen
Vom Industrie-Moloch zur Kulturlandschaft – Das Ruhrgebiet
Das Ruhrgebiet hat sich mit viel Fantasie und ungewöhnlichen Lösungen binnen weniger Jahrzehnte ein neues Gesicht gegeben. Eine Umgestaltung der Landschaft im Revier reicht von der Rekultivierung der Emscher, der einstigen Kloake des Ruhrgebiets, über begrünte Halden bis hin zu Erlebnisparks oder Industrie-Museen in architektonisch eindrucksvollen Industrieanlagen. Wie wurde dieser Wandel bewältigt, was waren die architektonischen Probleme und Herausforderungen, wie sahen die Leitideen aus?
Mein Essay