Späte Offenbarung: Saul Leiters Farbfotografien

49Hüte, Schirme, Schuhe, Ausblicke auf Passanten durch angelaufene Fensterscheiben, wartende Limousinen: Bemerkenswert geschlossen ist der öffentliche und zugleich intim anmutende Kosmos, in den Saul Leiters Schwarz-Weiss und Farbfotografien einführen. Das äußere Erscheinungsbild und hastige Verhalten der Teilnehmer am öffentlichen Leben im New York der späten 40 er und 50 er Jahre wirkt auf den heutigen Betrachter reglementiert. Und doch: Durch Leiters Kamera gesehen, gestatten die kleinformatigen Schwarz-Weiß Prints mit ihren ungewöhnlichen Perspektiven und Bilddiagonalen einen geradezu intimen Einblick in die weltabgewandte Seite der Betriebsamkeit. Zu Fuß in den Straßenschluchten unterwegs bleibt doch jeder für sich. Eine Offenbarung sind Leiters frühe Farbfotografien: Sie verwandeln die Straßenszenen in reine Bilder, die jeder Zeitlichkeit enthoben zu sein scheinen. Sein Rot, sei es ein lackiertes Autoblech oder durch Schnee und Regen flackernde Ampelfarbe, leuchtet mit selten gesehener Strahlkraft. Die Aufnahmen des winterlichen New York lösen indes fast romantische Sehnsüchte aus: Von Schneeflocken umtanzt könnten die Passanten allesamt auf dem Weg nach Hause sein. Saul Leiter scheint in seinen später vom Dia abgezogenen Farbprints noch um vieles mehr Maler zu sein als in seiner ebenfalls gezeigten abstrakt expressiven Malerei. Leiter hat bis Anfang der 80 er Jahre für Magazine wie „Harper’s Bazaar“ gearbeitet, reduziert in Szene gesetztes Straßentreiben dient auch als Prospekt seiner Modeaufnahmen. Eine anrührende Hommage hat Saul Leiter seiner Lebensgefährtin, der Malerin Soames Bantry, in einem kleinen, selbst kuratierten Kabinett gewidmet, es zeigt das Zwiegespräch der beiden in der Wahl der Sujets und Farben. Der Hamburger Retrospektive (kuratiert von Ingo Taubhorn und Brigitte Woischnik), die das spät rezipierte Werk des inzwischen 88 jährigen Künstlers erstmals nach Deutschland holt, gelingt es, den großen Bogen zu schlagen: vom Maler, als der sich Leiter zeitlebens verstanden hat zum großen Farbbildfotografen, dessen Werk noch weiter zu entdecken ist.

Ausstellung in den Deichtorhallen Haus der Photographie Hamburg bis 15. April 2012, Katalog 49 €

zuerst erschienen: Neue Zürcher Zeitung 17. März 2012

Klasse Bilder. Die Fotografieästhetik der “Becher-Schule”

50Die Fotografen Bernd und Hilla Becher sowie deren Schüler haben im späten 20. Jahrhundert die Fotografie als eigenständige Kunst ins Museum gebracht. Maren Polte widmet sich in ihrer Studie fünf renommierten Becher-Schülern.

Ein Lehrer an der Kunstakademie ist dann erfolgreich, wenn er eine so klare künstlerische Position vertritt, dass seine Schüler ihn gar nicht erst nachzuahmen versuchen. Maren Polte beschreibt und vergleicht in ihrer bemerkenswerten Studie den Weg der fünf prominentesten Absolventen der ersten Generation der legendären Düsseldorfer Fotoklasse von Bernd und Hilla Becher: Das schon früh überaus erfolgreiche Trio Thomas Struth, Thomas Ruff, Andreas Gursky, sowie Axel Hütte und – etwas verspätet als einzige Frau vergleichbar wahrgenommen – Candida Höfer.

Der erste Anstoß, der den anhaltenden Erfolg dieser Fotografen erklärt, liegt tatsächlich im Wirken ihrer Lehrer begründet. Das unbeirrte, monolithische Werk von Bernd und Hilla Becher, die ihr Lebensthema in den Varietäten der untergehenden Industrielandschaft mit ihren Kühltürmen und Hochöfen, Silos und Gasbehältern gefunden hatten, schuf eine kaum zu übernehmende Vorgabe. Dokumentation und objektivierender, wenn auch durch und durch konstruierter Bildaufbau der Becher-Fotografien verleiht den Industriebauten eine einzigartige Autonomie als skulpturale Objekte, die ihre einstige Funktion vergessen lässt.

Als Arbeitsprinzip aber ist diese Kombination genau das, was die fünf so unterschiedlichen Fotografen verbindet. Sie fotografieren sachlich emotionslos, arbeiten gerne mit der Großplattenkamera, die eine genaue Bildkomposition bei hohem Detailreichtum ermöglicht und lösen ihre Gegenstände aus dem sie umgebenden Kontext. Der entscheidende Unterschied, der mit dafür verantwortlich ist, ein vollkommen eigenständiges Werk verfolgen zu können, liegt aber im gesellschaftlichen Wandel begründet.

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