Die Fotografen Bernd und Hilla Becher sowie deren Schüler haben im späten 20. Jahrhundert die Fotografie als eigenständige Kunst ins Museum gebracht. Maren Polte widmet sich in ihrer Studie fünf renommierten Becher-Schülern.
Ein Lehrer an der Kunstakademie ist dann erfolgreich, wenn er eine so klare künstlerische Position vertritt, dass seine Schüler ihn gar nicht erst nachzuahmen versuchen. Maren Polte beschreibt und vergleicht in ihrer bemerkenswerten Studie den Weg der fünf prominentesten Absolventen der ersten Generation der legendären Düsseldorfer Fotoklasse von Bernd und Hilla Becher: Das schon früh überaus erfolgreiche Trio Thomas Struth, Thomas Ruff, Andreas Gursky, sowie Axel Hütte und – etwas verspätet als einzige Frau vergleichbar wahrgenommen – Candida Höfer.
Der erste Anstoß, der den anhaltenden Erfolg dieser Fotografen erklärt, liegt tatsächlich im Wirken ihrer Lehrer begründet. Das unbeirrte, monolithische Werk von Bernd und Hilla Becher, die ihr Lebensthema in den Varietäten der untergehenden Industrielandschaft mit ihren Kühltürmen und Hochöfen, Silos und Gasbehältern gefunden hatten, schuf eine kaum zu übernehmende Vorgabe. Dokumentation und objektivierender, wenn auch durch und durch konstruierter Bildaufbau der Becher-Fotografien verleiht den Industriebauten eine einzigartige Autonomie als skulpturale Objekte, die ihre einstige Funktion vergessen lässt.
Als Arbeitsprinzip aber ist diese Kombination genau das, was die fünf so unterschiedlichen Fotografen verbindet. Sie fotografieren sachlich emotionslos, arbeiten gerne mit der Großplattenkamera, die eine genaue Bildkomposition bei hohem Detailreichtum ermöglicht und lösen ihre Gegenstände aus dem sie umgebenden Kontext. Der entscheidende Unterschied, der mit dafür verantwortlich ist, ein vollkommen eigenständiges Werk verfolgen zu können, liegt aber im gesellschaftlichen Wandel begründet.
Das Bildverständnis, mit der die neue Generation konfrontiert wird, hat sich radikal geändert:
„Das Vorbild für die Fotografie ist in meiner Generation wahrscheinlich nicht mehr die Wirklichkeit, sondern Bilder, die wir von dieser Wirklichkeit kennen.“
beschreibt Thomas Ruff die Lage. Thomas Ruff ist dann auch derjenige des Quintetts, der am explizitesten in seinem Werk der Medienrealität Rechnung trägt: Er war der erste aus der Becherklasse, der Ende der 80er Jahre mit digitaler Retusche arbeitete – damals musste er dafür noch eine darauf spezialisierte Firma beauftragen.
Ob es Bilder mit Nachtsichtgeräten sind, die auch die biederste Umgebung zu einer zwielichtigen Gegend umgestalten, digital bearbeitete pornographische Fotos aus dem Internet oder die ins große Format gebrachten Aufnahmen einer astronomischen Teleskopkamera: Thomas Ruff erweitert das Interesse wie ein Bildwissenschaftler auf sämtliche Formen der technischen Bilderzeugung.
Bei Candida Höfers Innenaufnahmen, so wird in Bildvergleichen von frühen und späteren Interieurs deutlich, spielt die Wahl der Kamera eine wichtige Rolle. Lenkten die frühen Aufnahmen mit der Kleinbildkamera die Aufmerksamkeit auf Randständiges und Zufälliges, kam mit dem Mittelformat der Hasselbladkamera mehr Konstruktives ins Bild, um schließlich mit der großformatigen Plattenkamera den Blick auf das Zusammenspiel formaler Bildelemente zu konzentrieren.
Aufschlussreich ist auch die Analyse eines Bildsujets, das sich gleichermaßen bei Struth, Höfer und Gursky findet. Alle drei haben im New Yorker MoMa ein Drip Painting von Jackson Pollock aufgenommen. Bei Struth wird der expressive Bewegungsgestus Pollocks bei der Herstellung der Bilder aufgegriffen: Seine Fotografie zeigt im Vordergrund nur verschwommen wahrzunehmende Besucher, die sich für die lange Belichtungszeit zu schnell bewegt haben. Höfers Fotografie fügt Pollocks Bild in den Kontext der strengen Ausrichtung der Ausstellungsarchitektur ein.
Ganz von Rezeption und Umgebung losgelöst arbeitet Gursky: Man sieht nur noch Bild, Wand, Boden und Rahmen. Gursky ist derjenige, dessen Schaffen von Maren Polte am kritischsten besprochen wird: Seine Aufnahmen interessierten sich nur für ornamentale, durch digitale Bearbeitung erzeugte Ordnungsstrukturen, ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung: Ob Rockkonzert, Plenarsaal des Deutschen Bundestags oder Propagandaveranstaltung für das Nordkoreanische Unrechtssystem, in Gurskys Bildästhetik werde keinerlei Unterschied mehr deutlich:
„Gurskys Werke gehören, dank ihre multifunktionalen Opulenz ebenso wie durch ihre exorbitanten Preise, als Topklasse-Dekor ins Luxussegment gesellschaftlicher Aktivität. Mit kritischen Einsichten konfrontiert der Künstler diese Gesellschaft nicht“.
Poltes Studie ist, nachdem am Anfang noch ein wenig mit Modevokabular wie „Exzellenzmarke“ und „Branding“ experimentiert wird, angenehm zu lesen – und das Beste, was bisher zu den „Becher-Schülern“ auf dem Markt ist. Anschaulich und sinnvoll werden auch einige technische Bedingtheiten der Bildästhetik erklärt. Einleuchtend ist die große Linie der Argumentation: Die Fotografen konnten als Künstler reüssieren, weil das Werk der Lehrer in sich abgeschlossen war und die technische Entwicklung der Bildproduktion neue Wege anbot, ein Glücksfall für die Künstler wie für die Wahrnehmung der Fotografie als Kunst.
Maren Polte: Klasse Bilder. Die Fotografieästhetik der „Becher-Schule“.
Berlin 2012, Gebr. Mann Verlag, 255 Seiten
zuerst erschienen in: Büchermarkt Deutschlandfunk. Sendung 07.03.2012