Sich ein Bild machen

23Vier Fotografien aus Auschwitz in der französischen Bilddiskussion
Über die Wirkung von Fotografien nachzudenken, die unerträgliche Vorgänge zeigen, führt zu grundsätzlichen, oft mit Vehemenz und Erbitterung ausgetragenen Debatten. Didi-Hubermans Schrift „Bilder trotz allem“, vier Jahre nach der Erstpublikation ins Deutsche übersetzt, gibt einen Einblick in die Auseinandersetzung in Frankreich, die über die ethische Dimension der bildlichen und medialen Darstellung des Holocaust geführt wurde. Der Streit entzündete sich an einem Essay von Didi-Huberman, in welchem er vier Dokumentarfotos aus Auschwitz analysierte und Überlegungen zur Geschichte ihrer Veröffentlichung vortrug.

Fotografien können nur ein verschwindend kleines Bruchstück eines Geschichtsverbrechens bezeugen, einen Moment im Räderwerk der Maschinerie des Grauens der Nachwelt überliefern. Eine genaue fotografiehistorische Einordnung der Dokumente im jeweiligen Einzelfall ist im Umgang mit solchen, wie Didi-Huberman sagt, der Realität „entrissenen Fetzen“ ebenso unerlässlich, wie es grundsätzliche ethische Überlegungen zum Bildgebrauch sind. Welchen Beitrag können Bilder für die Opfer, für die Überlebenden, für die Nachgeborenen leisten, um sich dem Unvorstellbaren in der Trauer und der anthropologischen Reflexion nähern zu können?
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Die Archivierung und Verwandlung der Welt im Medium der Fotografie

39„Die Welt, die sich dem Auge darbietet, ist eine völlig andere als diejenige, die sich der Kamera zeigt“ schreibt Bernd Stiegler. Aus einer Fülle von literarischen und naturwissenschaftlichen Quellen rekonstruiert er in seiner Habilitationsschrift eine – aus heutiger Sicht eher trivial erscheinende – Einsicht in die medienspezifische Besonderheit der Fotografie, die im 19. Jahrhundert allerdings erst allmählich heranreift.

Vertraute und ferne Lebenswelten dokumentiert das neue Medium nüchtern, scheinbar unbestechlich und mit steigender Geschwindigkeit der Wiedergabe. Die Fotografie konserviert Sichtbares. Sie vermag aber auch, wie die Momentfotografie von Bewegungsabläufen zeigt, bisher unsichtbar Gebliebenes aufzuzeichnen. Stiegler verfolgt die veränderliche Wertschätzung der Fotografie in der wissenschaftlichen und poetologischen Diskussion und die eifersüchtige Auseinandersetzung mit der „Medienkonkurrenz“ in Literatur und Ästhetik. Zwei Linien zeichnen sich in der nicht sehr übersichtlich strukturierten Darstellung des zeitgenössischen Diskurses um die Fotografie ab.
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