Die Namen sind sofort zur Hand: Claude Cahun, Marianne Breslauer, Ré Soupault, Florence Henri, Lee Miller. Sie und viele andere haben in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als Fotografinnen zunächst in Europa reüssiert, mit eigenwilligen und ungewöhnlichen Bildarrangements. Einige besonders überraschende Selbstbildnisse haben Eingang ins imaginäre Museum der Fotografiegeschichte gefunden. Dies ist der Fall beim Doppelbildnis der knabenhaften Claude Cahun im karierten Bademantel vor dem Spiegel oder Florence Henris ernst blickender Halbfigur: Die Fotografin sitzt mit mokant verschränkten Armen an einem überdimensioniert lang erscheinendem, weiß gestrichenen Holztisch. Statt eines Tischpartners lehnt ein Spiegel an der gegenüber liegenden Wand, zwei kleinen Kugeln sind dicht vor ihn gerollt. Weiterlesen
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Im Schatten der Geschichte: Lee Miller
Das surrealistische Paris und die Zusammenarbeit mit Man Ray prägten Lee Miller (1907–1977) als Fotografin. Ihre Berufung und ihr Trauma erfuhr sie im Zweiten Weltkrieg als Kriegskorrespondentin bei der US-Armee für Vogue. Jetzt werden ihre ausgezeichneten Künstlerporträts und kühnen Kompositionen wiederentdeckt.
Ein riesiger Schatten in Form eines Dreiecks dominiert das Bild. Dessen Spitze zeigt auf die – ihm wie zu Füßen liegende – besonnte Stadt. Kultiviertes Land erstreckt sich scheinbar ins Endlose, ein Horizont ist nicht zu sehen. Lee Millers «From the Top of the Great Pyramid» liegt eine kühne Komposition zugrunde: Das Schatten-Dreieck bildet eine dunkle, negative und doch transparente Form, die Prinzipien des Figurenaufbaus der klassischen Kompositionslehre in Erinnerung ruft. Das berühmte Foto entstand um 1937/38 während des fünfjährigen Ägypten-Aufenthaltes der Amerikanerin an der Seite ihres ersten Ehemanns, Aziz Eloui Bey – eines wohlhabenden, gegenüber Lees Eskapaden generösen Ingenieurs und Geschäftsmannes.
Millers Ägypten-Bild ist frei von den Orientalismen, die in der Fotografie wie in Literatur und Malerei eine lange Tradition haben und einen geografisch unbestimmten «Orient» als Projektionsfläche sinnlicher (Männer-)Fantasien schaffen. Der Schatten, den die Pyramide wirft, wird vor ihrer Kamera ein zwar geschichtsträchtiger, aber doch moderner Schatten. Millers Ägypten-Aufnahmen integrieren sich in die internationale Formensprache der Moderne – klare, puristische Formen, kraftvoll gesetzte Volumina, alles Überflüssige ist aus dem Bild verbannt. Über den Arbeiten scheint ein archaisch anmutendes Schweigen zu liegen. Persönlich erlebte Miller, die mit Freunden Expeditionen ins Landesinnere und Wüstenfahrten unternimmt und ansonsten ihre Zeit in Kairos mondänen Kreisen verbringt, die Zeit in Ägypten als einförmig. Das Land sei «just tombs, ruins, embalmed bodies, generations of people, dead people, doing exactly the same thing, in the same way». Weiterlesen