Als Lehrende an der Düsseldorfer Kunstakademie hatten Bernd und Hilla Becher einst eine Generation von international anerkannten Fotografen ausgebildet. Der Kunsthistoriker Stefan Gronert gibt einen Überblick über das Schaffen von zehn Fotografen, welche die Becher-Klasse durchlaufen haben.
Alles begann mit Aufnahmen von Hochöfen und Kühltürmen, Siegener Fachwerk und Getreidesilos: Die ‚anonymen Skulpturen‘ von Bernd und Hilla Becher schufen ein neues Verständnis für die spröde Formenwelt der Industriekultur und zugleich für die Fotografie als konzeptionell fundierte Kunst.
Bernd und Hilla Becher verhalfen international der zeitgenössischen deutschen Fotografie zum Durchbruch, gleichermaßen mit ihrer Arbeit als Fotografen wie als Lehrende an der Düsseldorfer Kunstakademie. Der Bildband „Die Düsseldorfer Photoschule“ von Stefan Gronert fokussiert neben den Aufnahmen der Bechers das fotografische Werk von zehn international anerkannten, einstigen Absolventen der Becherklasse. Das Buch lässt sich auf zwei Ebenen lesen: als visuelles Ereignis und als begleitende Einführung. Mit der Anordnung der Arbeiten beginnend mit Bernd und Hilla Becher bis zu Jörg Sasse schließt sich von den ersten Wassertürmen bis zu Sasses turmförmigem Bild-„Speicher“ ein Bogen.
Die Bechers stellen ihre Architekturaufnahmen zu Serien zusammen, zu sogenannten „Tableaus“, die vergleichendes Sehen ermöglichen: Die Ansichten sind meist aus der Frontalperspektive und bei bedecktem Himmel fotografiert. Sasse hingegen überlässt das Ordnen der Fotos dem Ausstellungsbesucher: Dieser darf, wenn auch durch den Fotografen und ein Computerprogramm gelenkt, die Bildfolge anhand von 54 vorgegebenen Stichworten von „abstrakt über Kopfbedeckung bis Winter“ selbst kuratieren. Das ergibt immer neue Kombinationen, schafft immer neue Plausibilitäten.
Sasse hat die Fotografien in einem Speicherturm archiviert, temporär entnimmt ein Mitarbeiter die Fotos für die ‚besucherunterstützte‘ Hängung der Arbeiten. Sasses Foto dieses Speichers beschließt – fast ist man geneigt zu sagen – programmatisch den Bildteil in Gronerts Buch. Den Gedanken des Archivs, das aufnimmt, was die Gegenwart dem schauenden Auge zu bieten hat und damit in alltägliche, bisher übersehene Gebiete vordringt und die konzeptionelle Vorgehensweise sind es dann auch, was die Bechers ihren Schülern mit auf den Weg gegeben haben: Die unterschiedlichen Richtungen, welche die Absolventen ihrer Fotoklassen eingeschlagen haben, bestätigen, dass sie gute Lehrer gewesen sind. Viele, wie das berühmte Trio Thomas Ruff, Thomas Struth und Andreas Gursky werden international hoch gehandelt, andere wie Candida Höfer zogen etwas später nach, aber vier von acht Schülern der ersten Fotoklasse gaben trotz sehr interessanter Arbeiten die künstlerische Fotografie auf.
Drei von diesen vier Fotografen sind Frauen, was einiges über den Kunstbetrieb aussagt, aber im Buch nicht näher problematisiert wird. Sieht man sich die chronologische Ordnung der Arbeiten an, so bemerkt man bei fast allen Fotografen in der Frühphase ihrer Entwicklung den geschulten Blick für die formale Aussage banaler Bildgegenstände, biedere Wohnungseinrichtungen zum Beispiel oder hässliche Straßenzüge. Es folgen schlichte Porträts, aber dann wird der Aktionsradius größer: Bilder aus verschiedenen Erdteilen, Dschungel, aber auch Fremdmaterial, vergrößerte Aufnahmen, die aus einem Observatorium stammen oder digital bearbeitetes Material aus dem Internet kommen dazu. Bei aller Vielfalt bleiben der Archivgedanke, das serielle Prinzip und eine fast schon wieder poetische Nüchternheit bestehen.
Tata Ronkholz, die sich später der Werbefotografie zuwandte, hat Trinkhallen fotografiert, Petra Wunderlich Kirchen von ihrer alltäglichen, bodenständigen Seite aufgenommen: Sie zeigt unspektakuläre Ausschnitte, Nebeneingänge oder in der Häuserfront aufgehende Straßenkirchen. Simone Niewegs Interesse gilt Schrebergärten und Streuobstwiesen, zwischen Zweckmäßigkeit und Poesie. Stefan Gronert handelt in seinem Essay einen Fotografen nach dem anderen ab. Ein kleiner Exkurs widmet sich der Bedeutung des Großformates in der Farbfotografie, das nicht unwesentlich am Einzug der Fotografie in das Museum beteiligt war.
Man vermisst hier aber einen Hinweis auf die konservatorischen und rechtlichen Probleme, die der Erhalt dieser inzwischen zu Höchstpreisen gehandelten Kunstwerke aufwirft. Auch hätte man gerne gewusst, wie die ehemaligen Kommilitonen mit den unterschiedlichen Erfolgen auf dem Kunstmarkt umgehen. Die Beschreibungen bleiben merkwürdig blass, obwohl oder vielleicht auch, weil sich Stefan Gronert persönlicher Bekanntschaften erfreuen kann. Es gibt nur wenige Versuche, übergreifende Gemeinsamkeiten in den Sujets oder den fotografischen Projekten auf den Punkt zu bringen, obwohl das sorgfältig ausgewählte Bildmaterial, so wie es nacheinander zu sehen ist, doch vieles fast mit Händen greifen lässt.
Auch fehlt eine Reflexion der Wirkung, die von Werk und Lehre der Bechers bis heute auf die Wahrnehmung von Fotografie und die Ausbildung an Hochschulen und Akademie ausgeht. Nüchtern wie das Bechersche Tableau eines Hochofens bleibt der Text und so ist diese erste Arbeit, die sich rühmen kann, sich monografisch um die „Düsseldorfer Photoschule“ zu bemühen, zwar ein begrüßenswerter, aber doch noch etwas zu zaghaft geratener Anfang.
Stefan Gronert: „Die Düsseldorfer Photoschule. Photographien 1961-2008“. München 2009. Verlag Schirmer/Mosel, 320 Seiten, 163 ganzseitige Tafeln
zuerst erschienen: Büchermarkt Deutschlandfunk Sendung 14.06.2010