Eine schmale, ältere Frau, ein Handtuch um den Kopf geschlungen, in Badelatschen und kariertem Hemd steht vor einem bepackten Fahrrad, man sieht sie oder eine Kollegin später im improvisierten Taucheranzug, die Beine stecken in bunt gemusterten Leggins, sie schaut ernst in die Kamera, eher selbst wie ein Meerestier denn wie eine stolze Geschäftsfrau. Nina Poppe hat das Leben der „Ama“ (Frauen des Meeres) fotografiert, japanischer Taucherinnen, die mit minimaler Ausrüstung und ohne Sauerstoffgerät ihrer Profession nachgehen, die traditionell in Frauenhand ist: Sie tauchen nach Meeresfrüchten wie Seeigel oder Seeohren (Abalone) und lösen sie mit einem Haken vom Meeresgrund. Man sieht improvisierte Wäscheständer vor Hütten, Arbeitsplätze mit bunten Eimern und Wannen, in denen der Fang wohl für den Verkauf vorbereitet wird, kleine Kinder, die für die Fotografin posieren – man weiß nicht recht, ob das die Enkelkinder der Taucherinnen sind, deren Durchschnittsalter heute bei sechzig Jahren liegt. Der Fotoband begegnet dem Mythos der in den 50-er Jahren noch nackt ins Meer springenden Taucherinnen mit kühler Beiläufigkeit, inhaltlich so zurückgenommen, dass man sich selbst Informationen beschaffen muss, um das Gezeigte einigermaßen einordnen zu können. Arbeitsabläufe, Orte oder Personen werden nicht vorgestellt, die fotografischen Perspektiven verzichten auf jeden Glanz, jeden Effekt. Gezeigt wird Alltag pur, der gesamte Kommentar begnügt sich auf sieben Zeilen. Betont unaufwendig, fast minimalistisch kommt das Ganze daher, um dann doch am Ende mit einer ästhetisch reizvollen Überraschung aufzuwarten: Wie eine Wasserflasche aus Plastik, die unverhofft ins Netz geraten ist, zeigt ein Leporello ganz hinten im Buch, auf blaßblau eingefärbtem Dünndruckpapier Cover und einige Buchseiten bisheriger Publikationen zum Thema sowie ein kleines Glossar mit vier japanischen Begriffen, die der Betrachter versuchen kann, mit dem, was er auf Poppes Fotos zu sehen bekommt, in Einklang zu bringen.
Nina Poppe: Ama. 88 S,. 56 Abb., 48 €. Kehrer Verlag. Heidelberg 2011
zuerst erschienen in: mare 94. Oktober/November 2012 S.107