Lovigins verspielte Farbaufnahmen muten wie abgegriffene Postkarten an, die jemand in den frühen Sechziger Jahren erhalten hat, oft zur Hand nahm, dann aber in einem alten Karton liegen ließ, um zwei Jahrzehnte später Muster und Farben der bunt bekleideten Mütterchen hinzuzufügen, (die noch Kopftuch tragen oder schon ihr Haar leuchtend blond färben) und sie heute noch einmal am Computer nachzubearbeiten:
„Planet Petr Lovigin“ (Kehrer Verlag) zeigt nachsowjetisches Russland und Georgien, wie man es sich anhand von ausgebleichten Dias, Dokumentarfilmen über das Leben in entlegenen Dörfern, Schallplattencovern und Erzählungen ausmalt. Es sind schräge Ansichten, die einen Pathos ganz eigener Art ausbilden, eine Art Tapferkeit angesichts des Zivilisationsschrotts, eine unverdrossene Haltung, die Bewunderung verdient. Lovigins liebevolle Aufnahmen sind sorgfältig komponiert, vieles ist in Postkartenformat abgedruckt, mit Bildunterschriften oder Auszügen aus einem launigen Chat des in der Welt umherreisenden, inzwischen viel bewunderten Fotografen mit seiner Galeristin versehen. Man sieht kleine Lädchen und Dorfstraßen, einige wenige Kinder, aber doch hauptsächlich ältere Menschen, das unvermeidliche Lenin-Denkmal auf dem Platz, ein Autowrack, das aber noch als Heuschober dient, Gymnastik und Strandleben älterer Damen, die perfekt geschminkt in Badeanzügen und Plastiksandalen Hula-Hoop Reifen schwingen oder mit aufblasbaren Gummischwimmhilfen ihren Spaß haben. Manches ist anrührend, wie die zehn Paar verdreckte Turnschuhe, die zum Trocknen auf die Latten eines schon etwas baufälligen Holzzaunes gespießt sind. Manches hat Sinnbildcharakter, wie die schöne alte Dame in schwarzem Hut und Strickpullover, die sich mit Getränken in Plastikflaschen und in Zellophan verpackten Feldfrüchten auf einem kleinen Tisch neben einer überdimensionierten „Coca Cola“ Reklame niedergelassen hat, weggeworfene Plastiktüten und Dosenmüll umgeben das Arrangement. Oder ihr Pendant, eine in Untersicht aufgenommene, steinalte, abgearbeitete Frau, die in bunt zusammengewürfelten Kleidungsstücken, in Turnschuhen und mit Kopftuch, ein Bündel auf dem Rücken, in weit ausholenden Schritten ihres Weges geht.
Petr Lovigin: Planet Lovigin. Kehrer Verlag 2012, 112 S., 39.90€
zuerst erschienen in: Süddeutsche Zeitung 05.07.2012 S.14