Ein verspieltes Auge

«Malerei in Fotografie – Strategien der Aneignung» – eine Ausstellung im Frankfurter Städel zeigt, wie sich die einst schwierige Beziehung von Malerei und Fotografie in eine gemeinsame Arbeit am für Museen geeigneten Bild verwandelt hat.

Fotografen wie Maler können mit einer «pluralen» Identität als Künstler, die sich auf Kunst- und Fotografiegeschichte ebenso wie auf Filmstills oder Werbebilder beziehen können, längst umgehen. Die Frage nach den Genres stellt sich im Zeitalter der Medienkunst weniger für Publikum und Künstler als vielmehr für Museumsleute: Gehört Fotografie in ein Traditionshaus für Malerei, in ein Museum für zeitgenössische Kunst, in eigens ausgewiesene Foto- oder Medienmuseen, und kann sie, je nach Umfeld, in das man sie stellt, jedes Mal anders gesehen werden?

Die Frankfurter Schau mit dem Titel «Malerei in Fotografie – Strategien der Aneignung» (kuratiert von Martin Engler und Carolin Köchling) wirft solche Fragen und Zusammenhänge zwar auf, thematisiert und reflektiert sie aber nicht explizit, sondern setzt ganz auf den visuellen Dialog der gezeigten Fotografien. Präsentiert werden Arbeiten aus den eigenen Sammlungsbeständen und einige wenige Leihgaben. Da die Bildbeschriftungen nicht viel mehr als staubtrockene Fingerübungen aus dem Kunstgeschichte-Seminar bieten und auch der Katalog kaum weiterführt, bleibt es einem verspielten Auge und dem Wissen des Betrachters überlassen, übergreifende Verbindungen zu erkennen und zu goutieren.

Den Auftakt bildet eine Aufnahme von Thomas Struth: Museumsbesucher auf einer Bank in der Salle des Etats des Louvre, im Hintergrund venezianische Malerei der Hochrenaissance wie zum Beispiel «Ländliches Konzert» (das einst Degas kopierte). Flankiert wird diese Foto von einer Arbeit Sherrie Levines, die lakonisch Degas-Reproduktionen in Szene setzt, und von Louise Lawlers raffinierten Reflexionen über Kunst in Räumen. So ein Interieur: Ein Sessel und ein Tischchen mit Lampe stehen vor einer holzgetäfelten Wand, an der ein Siebdruck von Warhol hängt (die Gesichtszüge von Beuys sind im Ausschnitt gerade noch erkennbar) und eine ebenfalls angeschnittene japanische Arbeit, die Teile von Paneelen eines Wandschirms zeigen könnte. Der Verzicht auf Zentralperspektive in japanischer Druckgrafik hatte die (wie Degas der Fotografie oft sehr zugetanen) Impressionisten besonders fasziniert, und bis heute verfehlt die so ganz andere Raumordnung ihre Wirkung nicht, beginnt doch der Betrachter über die kaum vorhandene Tiefe in Lawlers Interieur zu sinnieren, so er nicht nach einer Erklärung des rätselhaften Bildtitels «It Could Be Elvis» sucht, der ebenso auf Beuys’ Mundpartie wie vis-a-vis auf die tollenartige Haartracht des sitzenden japanischen Mannes anspielen mag.

Raum in Malerei und Fotografie
Wie Fotografie und Malerei auf zweidimensionaler Fläche Raum jeweils thematisieren, das könnte tatsächlich – ein nicht genanntes – Thema des ersten Teils der Ausstellung sein. So fällt bei Jeff Walls «Blind Window No. 2» ebenso wie bei Sugimotos «Seascapes» mit ihren unbewegten Horizont- und Meeresflächen oder der gleissend weissen Leinwand seines Kinosaals das Rechteck als Form ins Auge, komplementär zur Kreisform, die Annette Kelims durchlöcherte Zielscheiben bilden. Rechteck und Kreis findet man dann auch in der Blickachse zwischen Beate Gütschows Architektur-Capriccio, das wie eine angeschnittene Kreisblende den Blick auf eine kompilierte, bebaute Landschaft freigibt, und einer Arbeit von Georges Rousse. Auf der einen Hälfte der Foto ist ein die Wand und den Boden eines leeren Zimmers scheinbar überrollender, aber wohl doch nur aufgemalter Spiralkreis (der von Farbigkeit und Form geradezu ein Verwandter von Kelims Zielscheiben sein könnte) zu sehen, die andere Hälfte wird von einem roten Rechteck dominiert, unter dem nur schwach der Verlauf des Raumes auszumachen ist. Das hätte Anlass zu weitergehender Reflexion über Verfahren abstrakter malerischer Raumordnung und fotografisch erzeugten Raumkompositionen bieten können, bleibt aber so nur kurz angespielt.

Digitaler Pinselstrich
Ein ähnliches Problem stellt sich bei den sporadischen Hinweisen auf Vorlagen aus der Malerei. Hin und wieder werden Titel genannt, auf die sich Fotografen nach eigenen Angaben oder nach Ansicht der Kuratoren beziehen, ausgeführt wird das aber nicht, und auch der Katalog liefert nur bescheidene Anstösse, man verzichtet darauf, grosse Themen und Linien genauer herauszuarbeiten und zu benennen. Sich nur auf die zwar visuell reizvolle, von den geschaffenen räumlichen Bedingungen aber nicht immer glückliche Hängung zu verlassen, mag man zwar mit der Freiheit der so möglichen Assoziationen rechtfertigen, letztlich erscheint ein solches Vorgehen jedoch allzu salopp: Das Licht aus Jeff Walls monumentalem Leuchtkasten spiegelt sich in Sugimotos Ruhe und Konzentration fordernden «Seascapes» und spielt eine kleinformatigere Foto von William Eggleston an die Wand. Und manche Gänge sind so eng, dass man gezwungen ist, zu nah am Bild zu stehen.

Begibt man sich aus dem klassischen Kabinettsraum in das grosszügig angelegte, säulenbestandene Zwischengeschoss, empfängt einen das grossflächige Spiegelmosaik von John Armleder, das das Geschehen im Raum in eine verschobene Ansammlung kleinflächiger Rechtecke transformiert. Wolfgang Tillmans Grenzgänge des Mediums, grossformatige Arbeiten, hängen hier: schön, unnahbar und kühl. Gut placiert ist in diesem Raum auch eine Arbeit von Jörg Sasse, die eine Amateurfotografie so auflöst, dass sie den flirrenden Duktus eines digitalen und doch vom Licht besessenen Pinselstrichs anzunehmen scheint. Eine grosse Wand für sich alleine beansprucht Tacita Deans 25-teiliges Tableau, sie fragmentiert eine verfremdete, gefundene Foto (oder ist es doch eine Postkarte? – im Katalogtext finden sich beide Varianten), setzt sie neu zusammen und nützt Schrift, um sie mit düsteren Bezügen aufzuladen. Struth, Thomas Ruff und eine neuere Werkserie Sasses zeigen abstrakte Arbeiten, welche die besondere Qualität fotografischer Farbigkeit ins Bild setzen.

Betritt man den leeren, weitläufigen Saal am Ende, so wird man mit einer beeindruckenden Arbeit von Thomas Demand belohnt: Die Fotografie eines (aus Papier gebauten) Theatervorhangs bedeckt die Wände, dunkelrot, raumschaffend und einnehmend, man denkt unwillkürlich an ein Konzert und venezianische Malerei (Vorbild ist laut Demand eine Handyfoto eines Samtvorhangs, die er in der Galleria dell’Academia in Venedig aufgenommen hat). Der Parcours endet hier, und ausgerechnet in diesem Raum, der eigentlich schon gar nicht mehr zur Ausstellung gehört, hat man dann tatsächlich doch noch den Eindruck, dass der Kreis sich ein Stück weit zu schliessen beginnt.

Malerei in Fotografie – Strategien der Aneignung. Städel, Frankfurt.
Bis 23. September 2012. Katalog € 22.–.

zuerst erschienen in: Neue Zürcher Zeitung 29.08.2012 S.49