Der Weg vom kargen Norden zur Vegetation des Regenwalds, den der Betrachter von Axel Hüttes neuem Fotografieband „North South“ durchmisst, ist gleich überwältigend in seiner Schönheit wie seiner visuellen Anstrengung.
Zunächst kaum zu fassen vermögen zwei Augen das Gebotene. Die äußerste Reduktion einer aufgeworfenen Schneelandschaft, zart überfrorene Wiesen und filigrane Eis-Ornamente bestimmen die Bilder des hohen Nordens, während in Aufnahmen von südlicheren Gefilden die verschwenderische Üppigkeit einer Natur gefeiert wird, die einen nicht enden wollenden Formen- und Farbenreichtum hervorbringt.
Der erste Teil des Bandes widmet sich Landschaften in Alaska, Island, Norwegen. Eisig, von blendender Helligkeit, die noch den Anflug eines sommerlichen Grün wie eine Offenbarung erscheinen lassen, zeigen diese Bilder eine minimalistische Welt, in der nur das Wesentliche Raum findet. Die Kamera bietet eine fast philosophisch anmutende Reflexion über die unterschiedlichen Zustände des Wassers, vom Fließen zum Erstarren: schneebedeckte Flächen werden neben freiem Wasser gezeigt, das sich als Sturzbach über kantige Felsen ergießt, schließlich das Meer, dessen Gischt vor Kälte zu klirren scheint.
Auch der zweite Teil des Buches, visuell unterbrochen durch einen erhellenden Essay von Hanne Holm-Johnsen, hat das Wasser zum Thema. Hütte führt hier fort, was bereits in seinem Band „Terra incognita“ Gegenstand des fotografischen Interesses war: Spiegelungen an der Wasseroberfläche lösen Bäume und Blattwerk in mäandernde Formen auf, intensivieren die Farbigkeit. Unergründlich erscheint das im Wasser gespiegelte Grün, verhalten und lockend zugleich. Nicht immer sind die Schauplätze ferne Sehnsuchtsorte, auch der Bayrischen Wald entfaltet, durch Hüttes Kamera gesehen, eine geradezu märchenhafte Anziehungskraft.
Gegen Ende des Bandes gilt Hüttes Interesse auch wieder der klar gezeichneten Kontur. Botanische Paradiese sind zu sehen, Regenwald, Schlingpflanzen, Farne wirken unwirklichreal in einer fast mit Händen zu greifenden Materialität. Hier lässt sich das Verhalten des Auges studieren, das sich am Leitfaden der Bildabfolge überwältigenden Reizen ausgesetzt sieht. Schauplätze verlieren gegenüber der fotografischen Dimension an Bedeutung: Strukturen, Auflösungen, Farbabstufungen entfalten ihre ästhetische Wirkung, manchmal aber verharrt das träge Auge noch träumerisch bei der Auflösung, wenn bereits schon wieder festumrissene Formen zu sehen sind.
Axel Hütte: North South. Deutsch/englische Ausgabe. Mit einem Text von Hanne Holm-Johnsen, Schirmer/Mosel Verlag München 2006, 84 S., 39 Farbtafeln, 39.80€
zuerst erschienen: Süddeutsche Zeitung 29.05.2006