Fünf Fotografen reisen in die Lagunenstadt, um für den mare-Verlag einen Band zu Venedig zu realisieren: wie eine Zeitreise aus der stolzen Vergangenheit in die lärmende Gegenwart mutet das Ergebnis an.
In Robert Voits Fotografien, die den Band einleiten, entsteigt Venedig dem Nebel im silbernen Gewand. In warme Brauntöne getaucht und glanzvoll entrückt erscheinen die Prospekte der Kanalstraßen und zu früher und später Stunde erglühen Fenster, Torbögen und Wasser im Licht der aufsteigenden oder untergehenden Sonne. Ein wenig unwirklich, aber von durchaus irdischer Schönheit, überschwänglich und doch reserviert, empfängt die Stadt den Betrachter. Wie Bilder zum Auftakt eines Filmes muten die Aufnahmen des russischen Fotografen Gueorgui Pinkhassov an: Sie sind hoch gestimmt und geheimnisvoll zugleich. Mit Unschärfe, Shilouetten, Mustern, geometrischen Körpern, unbegreiflichen Größenverhältnissen, wogender Bewegung wird gearbeitet. Einmal erschlägt einem fast die Pracht, als glitzernder Christbaumschmuck und reichornamentierter Stuck in einem Palast gegeneinander ausgespielt werden, hier und dort taucht ein tiefdunkles Rot auf und lockt das Auge.
In rauem Schwarzweiß sind die „Wasserwelten“ des in Rom geborenen Fotografen Paolo Pellegrin gehalten: Aufnahmen vom Passagierschiff aus gemacht zeigen Menschen, die – an die Rehling oder ans Fenster gelehnt – andere Menschen oder die Aussicht auf die vor den Augen dahinziehenden Häuserfassaden betrachten. Funktionale Schiffsarchitektur und Kanal – „Straßenszenen“ sind zu sehen. Auch hier gibt es Lichtreflexe und Strukturstudien zu bewundern; dennoch wird angenehm unspektakulär beim Betrachten dieser Bilder vor allem eines klar: auch das historische Venedig besitzt einen Alltag. Um Natur und Bebauung geht es dem Briten Mark Power in seiner Serie „Inselwelten“ . Hier an der Peripherie lassen sich mit der Großbildkamera ruhige, präzise und wohlausgelotete Einblicke in das Lebensumfeld der Inselbewohner geben. Wohnblöcke sind zu sehen, ein Garagenfeld, der Friedhof auf San Michelle, eine Tankstelle am Meer, Mohnblumen auf einer Betontreppe, sauber aneinandergereihte, in weiße Planen gewandete Strandhäuschen am Lido. Sein Landsmann Martin Parr beschließt mit einem lauten Fanfarenstoß den Band. Schonungslos entlarvt die Kamera die Zumutung an den guten Geschmack, die das Auftreten des Touristen für die Stadt darstellt. Schrill in Kleidung und Auftreten, gerne mit einer Digitalkamera bewaffnet, in furchtbar bedruckten T-Shirts und seltsamen Kopfbedeckungen, zeigt er zuviel Fleisch. Am Ende steht der Blick auf den Nacken eines rotblonden Touristen, der sich durch die Kanäle chauffieren lässt. Auf seinem Sonnenschutz, dessen Band sich über dem Hinterkopf schließt, ist in roter Farbe die Aufschrift „England“ zu lesen. Mit Illusionen ist hier gründlich aufgeräumt, aber nichts hindert einem daran, den Band noch einmal von hinten nach vorne durchzublättern und wieder am Ausgangspunkt anzukommen: dem berückenden Glanz der zugleich so wirklichen wie unwirklichen Traumstadt.
Mare-Bildband „Venedig“. mare dreiviertel verlag 2005, 136 S., 49 €
zuerst erschienen: Süddeutsche Zeitung 16.01.2006