Selbstentwürfe von Frauen sind unweigerlich mit einem bereits existierenden Bildrepertoire, das seit Jahrhunderten aus männlicher Sicht das Weibliche definiert hat, konfrontiert, lautet eine der Thesen zur Genderdebatte, die Elisabeth Bronfen in ihrem einleitenden Essay zum Bildband „Frauen sehen Frauen“ diskutiert.
Können Frauen in der Balance zwischen Vertrautsein mit dem weiblichen Körper und der Anerkennung der Autonomie der anderen Frau als eigenständige Person die reale Frau wieder ins Bild rücken und neue Bildtraditionen gestalten ? Oder beschränkt sich ihr Spielraum doch nur darauf vorhandene, allzu bekannte Sichtweisen und tradierte Darstellungsformen ironisch zu unterlaufen?
Schaut man sich – auch wenn die Bürde theoretischer Deutungsmuster auf der Geschichte der Frauenfotografie lasten mag – die Fotografien möglichst unbefangen an, ist man hingerissen von der Nähe, Schönheit und Vitalität der porträtierten oder posierenden Frauen. Versonnene, selbstvergessene Momente blitzen auf, wie bei den Akten von Germaine Krull. Nie wird die Kamera zudringlich, stets bleibt sie zurückhaltend und gelassen. Frauen mit unförmigen Körpern (bei Lisette Model) stellen sich nicht bloß, vom Elend verhärmte Menschen (bei Dorothea Lange und Margarete Bourke-White) werden in ihrer prekären Situation aufmerksam von der Kamera begleitet.
Wer im Buch blättert, das mit einer Fotografie aus dem Jahr 1860 (Clementina Lady Hawarden) einsetzt und in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts endet, tritt auch einen Gang durch die Fotografiegeschichte an: verspielte, häusliche Szenen der Kunstfotografie des 19. Jahrhunderts werden abgelöst vom sachlichen Blick auf stilisierte, ferne Frauen in den 20er Jahren, Verkleidungen und Traumwelten werden inszeniert. Schließlich finden sich in den 80er und 90er Jahren vermehrt Anklänge an die künstliche Welt der Werbeästhetik. Über die lange Zeitspanne hinweg läßt sich eine deutliche Veränderung in der Körpersprache ablesen. Die Posen haben sich verändert; der Zugriff auf den weiblichen Körper ist vor allem im Glamourbereich härter geworden und dem können sich auch Fotografinnen nicht entziehen. Zeitgleich zeigt sich dennoch ein verschobener, nicht der Glanzwelt, sondern anderen Modalitäten verschriebener Blick. So bei Lise Sarfati die in einem Raum mit Klavier und kleingemusterter Tapete eine nicht zurecht gemacht, ernste junge Frau in Sankt Petersburg zeigt. Sie legt eine Hand auf einen Spiegel, der nicht ihr Bild oder das Bild der Fotografin zurückwirft, sondern als weiteres Detail, eine schmucklose Lampe an der Decke zeigt. Die abgebildete junge Frau fordert, wie Elisabeth Bronfen schreibt, dazu auf „sie als eigenständiges Subjekt wahrzunehmen“.
Frauen sehen Frauen. Eine Bildgeschichte der Frauen-Photographie von Julia Margaret Cameron bis Inez van Lambsweerde. Hrsg. v. Lothar Schirmer. Mit einem einleitenden Essay von Elisabeth Bronfen. 248 S., 159 Tafeln. Neuaufgelegte, broschierte Sonderausgabe Schirmer/Mosel Verlag München 2006, 24.80€
zuerst erschienen: Neue Zürcher Zeitung 06.03.2007