Ein eigentümlicher Glanz liegt über den Räumen, die Candida Höfer, in ihrem sorgfältig ausgestatteten Fotografieband dem Betrachter vor Augen führt. Schlicht „Monographie“ heißt das gewaltige Unternehmen, das Bibliotheken und Museen, Orte des Wissens und der Sammlung, aber auch Turnhallen und Schulungsräume, Restaurants und Kursäle in Europa und Amerika zeigt.
In der Regel wird dem Blick Einlass in ein Raumgehäuse gewährt, das von der Ausstattung des Fußbodens bis zur Deckenbeleuchtung die architektonische Konzeption klar erkennen lässt. Ob die Dichte des Inventars im Lesesaal einer ehrwürdigen Bibliothek oder die planerische Kühle des Tresorraums einer Bank, stets scheinen die Räume, lange ehe der Mensch hinzutritt, in überzeugender Geschlossenheit in sich zu ruhen. Menschen sind selten zu sehen, gezeigt wird aber ein Raum, der für die Arbeit von Menschen bestens vorbereitet ist. In Erwartung bald einsetzender Aktivitäten erweist er zuvor einer stets dezenten, auf Farbgebung und Linienschwung eingehenden Kamera seine Referenz. So zeigt eine Fotografie die in schwarz gehaltene Bühne eines Festspielhauses. Der Raum schwingt vor Konzentration, ein Regiestuhl steht in der Mitte, geradezu anmutig, der tiefschwarze Fußboden mit seinen Blessuren und Kratzern könnte gleich zu sprechen beginnen. Auf einem anderen Bild fällt Morgensonne durch die Fenster einer Turnhalle, hinter einem transparenten Vorhang finden Übungen statt, was kommt, was folgt?
Die Fragen, die sich beim Betrachten der fotografierten Räume immer wieder einstellen beziehen sich nicht, wie in den Anfängen der Fotografiegeschichte, auf das Geschehen, das stattgefunden haben könnte. Man sieht Candida Höfers Räume nicht als Schauplätze vergangener Ereignisse, die fotografisch dokumentiert worden sind, sondern als Versprechen für die Zukunft. Welche wunderbaren Entdeckungen könnten unter der Kuppel des Lesesaals der Bibliotheque nationale noch gemacht werden! Einladend wirken die warmen Farben und die eingeschalteten Leselampen am Ort des Wissens. Wie ließe sich überzeugender aber auch zurückhaltender die Schönheit geistiger und kultureller Arbeit vermitteln als in diesen Fotografien!
Natürlich werden auch hier die verstaubten Zeugnisse toter Kultur präsentiert, beispielsweise die Antikensäle mit ihren Gipsabdrücken, eingefrorenen Posen, die ausgestopften Tiere, die im Naturkundemuseum ein tristes Dasein fristen. Dennoch streift nur selten Melancholie die Räume und auch wenn der Verfall gezeigt wird, bewahrt der abgebröckelte Putz seine Würde, ohne ins Pittoreske abzugleiten.
Candida Höfer porträtiert die Räume in ihrer sonntäglichen Gestalt. In der Anordnung der Bilder sind dann Gegenüberstellungen zu finden, die selten mit dem gewählten Sujet, sondern in der Regel formal argumentieren. Der Schwung einer Linie, die Wiederkehr eines Farbtons oder der Dialog mit der ihr komplementären Farbe schaffen die visuelle Verbindung. Mitunter erliegt man der Versuchung zum Ende des Buches zu blättern und nachzusehen, wo sich die Räume denn nun wirklich befinden. Die Angaben sind knapp und, wie das in der Natur der Sache liegt, immer ein wenig enttäuschend: die Lokalisierung und Zuordnung der Räume gibt zwar eine Information, aber eigentlich hat man beim Betrachten der Bilder doch schon mehr erfasst als die nachträgliche Ortsangabe dem Zauber des Genius loci noch hinzufügen könnte. Candida Höfer ist kein Geheimtipp mehr, sondern sie ist in den letzten Jahren zu einer vielgefragten Künstlerin avanciert. Dies erfolgte allerdings mit gewisser Verspätung in der Rezeption gegenüber ihren männlichen Kollegen Andreas Gursky, Thomas Struth und Thomas Ruff, die ebenfalls die berühmte Düsseldorfer Fotografieklasse von Bernd Becher durchlaufen haben.
Mehrere Ausstellungen im letzten Jahr, die Repräsentation der Bundesrepublik auf der Biennale in Venedig und nicht zuletzt dieser eindrucksvolle Fotoband dokumentieren dies. Man hätte diesem Buch und dies sei die einzige Kritik, neben dem zweiseitigen Essay von Michael Krüger noch den einen oder anderen fundierten Aufsatz gewünscht, der die Arbeiten in einen ästhetischen oder fotografiegeschichtlichen Kontext stellt. Auch wenn Krüger eher den Eindruck gewinnt, es handle sich um verlassene Räume, die den Blick des „letzten Überlebenden“ freigeben, so übersieht diese düstere und recht traditionelle Deutung doch die visionäre Seite, die gerade in der kühlen Konzentration auf den Raum und den ihm innewohnenden Möglichkeiten liegt. Es ist ein mit Bedacht und Kalkül vermessenes Neuland, das zu betreten Candida Höfers Raumperspektiven einladen. Nicht die Surrealität eines Ausschnittes und die Faszination für das jüngst Vergangene, sondern die Erwartung für das Kommende in der Vision einer architektonischen Gesamtkonzeption sind es, die ihrer Arbeit die sichere Handschrift aufprägen.
Candida Höfer: Monographie. Mit einem Text von Michael Krüger. Schirmer u. Mosel 2003, 252 Seiten, 209 Farbtafeln, EUR 78
zuerst erschienen: Büchermarkt Deutschlandfunk Sendung 24.11.2003