Zwei weißhaarige Menschen arbeiten auf dem Feld, der Mann hat einen Spaten in die feinkrummige Erde gestochen und schaut konzentriert auf die Hand der Frau, die sich bedenklich nah am Spatenblatt befindet. Sie steht dicht neben ihm, bückt sich mühsam vornüber, um mit der Hand ein durchwurzeltes Pflänzchen, ins Erdreich zu setzen. Mit Schirmmütze und jeansblauem Hemd gibt er den Prototyp eines Individualisten, während ihre Aufmachung in bequemen Schuhen und kurzärmeligem Shirt eher an aktive Freizeitgestaltung in Gemeinschaft denken lässt. Die beiden älteren Herrschaften pflegen indes keinen Garten vor dem eigenen Haus oder eine Parzelle im Schrebergarten, sondern bestellen einen weitläufigen Acker. Anfang und Ende des Feldes kann man auf diesem Foto nicht ausmachen, man kann nur ahnen, wieviel Arbeit noch vor ihnen liegen mag.
Etwas weiter im Buch (Andreas Weinand: The Good Earth, Peperoni Books) sieht man Mann und Frau im Winter: Dieses Mal thront er auf der Sitzschale eines offenen Gefährts, einer Art selbstständig gewordenem Anhänger mit Außenmotor. Dieser scheint Schwierigkeiten zu machen, er stochert am Anlasser, sie versucht das seltsame Vehikel von hinten im Schnee anzuschieben und wirft sich mit bloßen Händen gegen die Seitenbretter.
Andreas Weinand hat den tätigen Lebensabend der beiden agilen Städter, die gemeinsam mit einem Freund im Ruhrgebiet, an der Stadtgrenze zwischen Essen und Mülheim, wie er im knapp gehaltenen Vorwort schreibt, eine „ökologische Zelle“ gegründet haben, über Jahre hinweg fotografisch begleitet. Als Großstadtbewohner, der seine Kindheit in einem Mietshaus verbrachte, bringt Weinand den gehörigen Abstand, aber auch größtmögliche Unbefangenheit mit, um das Wundersame des Treibens zu sehen, mit allen Höhen und Tiefen. Sparsam wie die Rede eines alten Bauern sind die verbalen Informationen, die wir über das Trio erhalten. Sie haben, so entnehmen wir den Bildern, ihr Berufsleben mit etwas anderem zugebracht, sonst wäre nicht die Freude, das Staunen und die eher unbeholfenen Körperhaltungen bei der Arbeit. Mehr als 20 Jahre haben sie hier Pflanzen, Schafe und Hühner versorgt. Weinand ist als Fotograf überaus behutsam vorgegangen, um die in manchem geradezu kindlich erscheinende Freude am Sprießen der Natur, an der üppigen Ernte nicht zur romantisierenden Landlust zu verklären, sondern als ein spätes Lebensexperiment, eine Art „Feldforschung“ begreifbar werden zu lassen. Das Buch setzt ein mit ein paar Sätzen über die erste zufällige Begegnung, man sieht die drei gut gelaunt in ihrem Gewächshaus als wäre es eine Urlaubsaktion. Es folgen im Lauf der Jahreszeiten die Stadien des Anbaus: der gepflügte Acker, fein säuberlich gezogene Beetreihen mit Folie, den auf den Knien mit Hingabe arbeitenden Freund. Von eigentümlicher Schönheit ist das Bild der alten Gärtnerin im Profil, die in der von Weißflecken gezeichneten Hand eine Tomatenpflanze in Augenschein nimmt, sie schaut konzentriert, fast andächtig, auf das, was unter ihren Händen gedeiht. Andere Bilder zeigen, was Weinand im Nachwort als Lernprozess einer Stadtpflanze beschreibt, nämlich dass „die Beete nicht einfach grün sind“. Die Vielfalt feiner Form-und Farbabstufungen auf einem Kohlfeld, zwischen dem auch Knöterich blühen darf, rote Kartoffeln auf saftiger Erde, all das, was man sieht, wenn man Ausschnitte betrachtet und zu einem optisch stimmigen Ganzen komponiert.
Während sich indes die Natur im Zyklus der Jahreszeiten erneuert, sterben die Tiere wie nebenbei und die Menschen werden älter. Der Herr mit der Schirmmütze, stützt sich auf seinen Spaten wie andere auf einen Stock, seine linke Hand fasst sich an die Seite, es ist anstrengend. Man macht das Heu mit einem Rechen und ruht nach getaner Arbeit auf gestreiften Kissen unter einem Baum, ziemlich erschöpft.Und dennoch: „Die reichste Zeit unseres Lebens war der Acker“, zitiert Weinand das Resümee dieser nüchtern-beseelten Felderkundung.
Andreas Weinand: The Good Earth. Peperoni Books, 2013, 144 S., 116 Farbbilder, 40,00 €
zuerst erschienen in: Süddeutsche Zeitung 14.01.2014