Die K20 Kunstsammlung in Düsseldorf zeigt eine Retrospektive des in den Vereinigten Staaten lebenden japanischen Fotografen Hiroshi Sugimoto – eine Reflexion über das sichtbare und das unsichtbare Bild.
Wie mit weit ausgebreiteten Armen empfängt und umschließt im Erdgeschoss der Düsseldorfer Ausstellungsräume des K20 Sugimotos großformatige Schwarz-Weiß-Folge mit Aufnahmen von der See den Betrachter. Eine Stellwand ist in sanftem Schwung in den ansonsten leeren Raum eingezogen, gezeigt werden 13 Ansichten von „Seascapes“: Wasser, Horizontlinie und Himmel, der scheinbar immer gleiche Ausschnitt in minimaler Variation, eisgrau bis metallisch glänzend – sonst nichts. Gerade diese Reduktion auf das Elementare, das die Begegnung mit dem Meer für den Landbewohner zu einer philosophischen Erfahrung werden lässt, überwältigt den Besucher. Muss er doch Altstadt und Verkehrslärm erst einmal hinter sich lassen, um sich mit Bildern zu beschäftigen, mit denen zum Gegenstand der Reflexion wird, was das Medium Fotografie seit je evoziert: das sichtbare und das unsichtbare Bild. Aufhellen und Verdunkeln, Aufblitzen und Verlöschen, Nachbildung und Modulation der Welt, das sind die großen, dialektisch ineinander verwobenen Themen, um die Sugimotos Bildserien kreisen.
Theater der Repräsentation
Sugimotos mit der Großbildkamera aufgenommene Bilder sind Versuchsanordnungen, die ebenso das Imaginäre wie den Gang der Mediengeschichte selbst untersuchen. Das „Theater der Repräsentation“, so ist man versucht zu sagen, ist Gegenstand einer Serie, in der wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt gleißend weiße Leinwände in pompös ausgestatteten Lichtspieltheatern das Auge des Betrachters blenden: Sugimoto hat während der gesamten Dauer einer Filmvorführung belichtet. Die Leere, die aus der Fülle der Filmbilder gewonnen ist, bildet einen unterkühlten und doch kraftvollen Kontrast zu den überladenen Innenräumen der in amerikanischer Unbefangenheit einmal einem Renaissancetheater, dann einer barocken Bühne nachempfundenen Spielstätten, aber auch zur „Pleinair“ – Kulisse der in späterer Zeit entstandenen – und inzwischen aus der Mode gekommenen – Autokinos.
Studien zu (leicht) farbigen Schatten, geworfen auf eine weiß gekalkte Wand, die das Licht gleichmäßig reflektiert, sind in der nächsten Abteilung zu sehen. „Onduloid: a surface of revolution with constant non zero-mean curvature“ lautet der geradezu poetisch anmutende Titel einer Stele aus Aluminium, die als Skulptur im gleichen Raum aufgestellt ist. Sie soll eine mathematische Operation verbildlichen. Ähnliche Modelle, die um 1900 in der Lehre eingesetzt wurden, weckten seinerzeit das Interesse der Surrealisten. So ergibt sich eine weitere Traditionslinie, betrachtet man im weiteren Verlauf der Ausstellung gemeinsam mit Sugimotos Fotografien historischer Modelle aus der mathematischen Kollektion, seine „Portraits“ von Wachsfiguren und Aufnahmen aus der Dioramen-Serie. Hier hatte der Fotograf Szenen erd- und naturgeschichtlicher Vorgänge, wie sie in Naturkunde-Museen in Schaukästen gezeigt werden, so fotografiert, dass man für einen Augenblick eine surreale Zeitreise zu unternehmen glaubt. Die Serie zu den Farben der Schatten lässt sich aber ebenso mit den Licht-Studien zu den amerikanischen Filmtheatern wie mit den Wandschirmen verbinden, auf denen Sugimoto ein Motiv der japanischen Kunst (den Kiefernwald-Stellschirm des Malers Hasegawa Tohaku) fotografisch nachstellt und damit seine „Melodie aufgreift“. Sugimoto hat die Anordnung der Bilder in den Räumen selbst konzipiert und die Beschriftung entworfen. Knapp, eindringlich und sehr persönlich gehalten, kommentiert er nicht die Technik, sondern das Entstehen eines inneren Bildes im medialen Zusammenhang.
Aufblitzen und Verlöschen
Im nächsten Geschoss finden sich Architektur-Aufnahmen, in denen Unschärfe die strenge Formensprache der klassischen Moderne aufweicht und doch ihre Ikonen vor einem träumerisch umherschweifenden Auge im nächsten Moment arretiert. Eine Fotografie der Türme des World Trade Centers mit ihren wie mit einem dicken Pinsel getuschten Vertikalen korrespondiert im Imaginären mit der dahinziehenden Horizontlinie der „Seascapes“, die sich – von links nach rechts gelesen – aufhellt und verdunkelt. „Lightning fields“, Direktbelichtungen von elektrischen Blitzen folgen; eine Aufnahme aus dem Wachsfigurenkabinett, die einen Delinquenten auf einem elektrischen Stuhl zeigt, knüpft assoziative Verbindungen: zur amerikanischen Gesellschaft und möglicherweise auch zu Warhols Folge der „electric chairs“. Programmatisch beschließen im letzten Raum drei erst heute zur Sichtbarkeit gebrachte Aufnahmen aus der Frühzeit der Fotografie die von Pia Müller-Tamm kuratierte Retrospektive: Sugimoto hat farbintensive, vergrößerte Abzüge von Negativen Fox Talbots hergestellt, ein konservatorisch riskantes Unterfangen.
Empfohlen sei der im Hatje Cantz Verlag erschienene Katalog, der die zuvor schon im Handel erhältliche englische Fassung im instruktiven Aufsatzteil leicht modifiziert: In hoher Abbildungsqualität sind in der Ausstellung gezeigte und weitere Aufnahmen zu finden, mit den Kommentaren Sugimotos und einer hinreißenden Beschreibung seines Werdegangs aus eigener Feder versehen.
Die Ausstellung dauert noch bis zum 6. Januar 2008