
Bibliotheken und Museen, aber auch Ausstellungen und Konzerten können für die Bürger eines bedrängten Landes von immenser Bedeutung sein. Um die Kraft des historischen Erbes, gerade in schwierigen Zeiten wissen vor allem Militärs – die trotz weltweiter Ächtung durch das um 1900 getroffene Haager Abkommen im Krieg gezielt Bibliotheken angreifen, um das kulturelle Gedächtnis und die Identität des Gegners nachhaltig zu vernichten – und die Bewohner von bombardierten Städten in Kriegs- und Nachkriegszeiten.

Leider währt diese Einsicht im Frieden nicht allzu lange. Schnell gewinnen in Zeiten leerer Kassen ökonomische Erwägungen die Oberhand, trotz der Erfahrung, dass gerade dann, wenn man von Zerstörung, Leid und Elend umgeben ist, Mangel an allem erleidet, Kultur der Korken ist, der einem über Wasser hält. Johanna Diehls Buch „Archipelagos of Resistance. Sarajevo“ rückt nicht nur einen inmitten der heutigen Bedrohungen beinahe schon wieder vergessenen Krieg mit der fast vierjährigen Belagerung Sarajevos wieder ins Zentrum des Interesses, es ist darüber hinaus ein beeindruckender Aufruf, Kultur nicht als Nebensache abzutun, die man sich nur dann leisten kann, wenn die Wirtschaft floriert. Fast dreißig Jahre nach Ende der Belagerung hat Johanna Diehl in Sarajevo die Orte besucht und fotografisch erkundet, die für die von Scharfschützen eingekesselten Einwohner der Altstadt die Möglichkeit boten, für einige Stunden in eine Welt jenseits des brutalen und unberechenbaren Kriegsalltags eintauchen zu können.

Das Buch setzt ein mit Innenaufnahmen aus dem heftig bombardierten „Holiday Inn“, ein im Stil der sozialistischen Moderne anlässlich der Olympischen Winterspiele in den Achtziger Jahren gebauten Hotels, in dem sich zu Kriegszeiten international tätige Journalisten aufhielten und endet mit dem Olympiastadion, das zeitweilig als provisorische Totenstätte diente. Dazwischen Bilder der Orte, an denen das kulturelle Leben in Form von Ausstellungen und Auftritten internationaler Künstlerinnen und Künstler, Performer- und Musikerinnen aller Gefahren und Widrigkeiten zum Trotz bestritten wurde: Das eingeschlossene Sarajevo war zu einem florierenden Zentrum des Kulturaustausch geworden, wie es nie zuvor und nie wieder danach geschehen ist. Wobei das nichts darüber aussagen kann, wie die Besucher der Veranstaltungen außerhalb dieser Räume einander im von Gefahr und Misstrauen geprägten Leben begegneten.

Die Aufnahmen zeigen, in durch den matten Druck leicht zurückgenommener Farbigkeit, Räume, die funktional sind und weiterhin vom Mangel beherrscht werden, fünf große Einrichtungen wie das Nationalmuseum oder die Nationalgalerie, die Bosnien und Herzegowina übergreifend repräsentieren, werden aus politischen Gründen finanziell ausgeblutet. Als Ursache nennt Elma Hodži?, die als Autorin die Geschichte der Schauplätze eindrucksvoll beschreibt, eine Fehlkonstruktion im Dayton Peace Agreement, dem Abkommen, das den Krieg beendete. Museumsmitarbeiter, Direktorinnen, Veranstalter und Kuratorinnen, sie alle leisteten Außergewöhnliches. Die Aufgabe in den noch erhaltenen Orten ein kulturelles Angebot zu erstellen, ist jetzt auf andere Weise schwierig geworden. Auf Johanna Diehls Aufnahmen ist die Linienführung klar strukturiert, der Blick ist so auch auf das Bergende gerichtet, das Gehäuse, das diese Räume den Menschen bot, in denen sie einer genuin menschlichen Aufgaben nachgehen konnten: Kultur zu schaffen. Kreative Lösungen wurden auch im technischen Bereich gefunden, da ja Elektrizität oft ausfiel, von Lebensmitteln über Wasser und Energie, alles war knapp. Ein „Buch im Buch“, Schwarzweißaufnahmen, gespenstisch auf matt rotem Papier gehalten, zeigt improvisierte Gerätschaften für alle Lebensbereiche. So unbefriedigend es ist, Jahre später Tatorte aufzunehmen, so fruchtbar ist die von Diehl und Hodži? gewählte Lösung: Die Texte legen ein feines Gewebe um die Aufnahmen, die Bilder sind in der Lage, das auf diese Weise durchgelassene „Licht der Geschichte“ zu reflektieren.

Johanna Diehl: Archipelagos of Resistance. Sarajevo. 160 Seiten, englisch Hartmann books, 34 Euro
Zuerst erschienen in PHOTONEWS Nr. 9/25 – September 2025