Magnum, Magnum

19„Magnum“, die renommierte und kühne Fotoagentur der Fotografen, feiert ihr 60jähriges Bestehen: Zeitgenossenschaft, gesellschaftliches Engagement und der Blick auf Missstände und Gewalt, aber auch auf die Würde, Schönheit und Selbstachtung des Menschen bestimmen die Arbeit ihrer derzeit mehr als 60 Mitglieder. Eine ergreifende Zwiesprache mit fremden Kulturen und Denkweisen und ein visuelles Fest, das gar nicht mehr aufhören will, stellt der großformatige, schwergewichtige Fotografieband „Magnum Magnum“ dar, der in deutscher Ausgabe bei Schirmer/Mosel erschienen ist.

„Wenn man ein Buch liebt, dann liebt man alle Bilder, aus denen es besteht. Es stellt sich die Aufgabe, ein einzelnes Foto zu finden, das ans Ganze erinnert“, beschreibt der Schweizer Fotograf René Burri das schwierige und überaus gelungene, ebenso demokratische wie individuelle Prinzip, nach welchem die Auswahl für den Band getroffen wurde: Die Fotografen kuratieren sich gegenseitig. Ein Fotograf stellt einen anderen vor, trifft aus dem vorliegenden Werk eine Auswahl und schreibt einen kleinen Kommentar dazu.

Die Anordnung dieser „Wahlverwandtschaften“ erfolgt nach der Willkür des Alphabets. Das enzyklopädische Prinzip führt zu mitunter wilden Nachbarschaften. Da kommt Martin Parr, der mit seinen schreienden Farben und seinem erbarmungslosen Blick auf die schrille Selbstdarstellung seiner Zeitgenossen, wie ein Kollege meint, zu einer „Parrisierung der fotografischen Welt“ beigetragen hat, neben den erschütternden Aufnahmen von Paolo Pellegrin zu stehen. Parr seinerseits stellt den Amerikaner Bruce Gilden vor. Er tut dies voll Emphatie, wie seinerzeit in den späten 60er Jahren der Popliterat Jack Kerouac Robert Franks AmerikaFotografien melodramatisch swingend feierte: „Aber diese Figuren sind hyperreal, realer als in Filmen, merkwürdiger als in Romanen. Er ist der Regisseur eines Endlosfilms, in dem Menschen kommen und gehen, ihre Rolle perfekt spielen und die Straße hinunter verschwinden“ , schreibt Parr und markiert damit eine fotografische Position, die deutlich werden lässt, welchen Wandel die Agentur in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, auch wenn die Aufnahmen, die Parr ausgewählt hat gegenüber seinen eigenen Arbeiten geradezu klassisch anmuten.

Die Spannweite des Gezeigten ist immens. Sehr häufig sind die Fotografien Teil eines Foto-Essays, einer fotografischen Langzeitstudie über ein Land, eine Bevölkerungsgruppe, eine entlegene Gegend der Welt. Der Einsatz ist hoch, manche Fotografen ließen in den Kriegen, die sie dokumentierten, ihr Leben. In den 60er Jahren erlebte die Agentur durch den Schock über den Verlust von Robert Capa, Werner Bischof und David Chim Seymour, die als Fotografen an der Front starben oder verunfallten, eine Krise. Sieben kriegserfahrene Fotografen, unter ihnen Henry Cartier-Bresson und Capa, hatten 1947 die Agentur gegründet, auch um, was damals noch unüblich war, die Rechte an ihren Bildern zu behalten.

Einer der Altvorderen, dessen Fotos aus dem England der 40er Jahre vom Sujet bis zur Bildsprache geradezu eine Essenz an Zeitgenossenschaft darstellen, ist der Brite George Rodger. Das umfangreiche Werk des unbeugsamen Fotografen, der „feste Ansichten über die Welt und die Fotografie“ vertrete, sichtet Peter Marlow. Er fördert eine Aufnahme von einem selbstvergessen lächelnden, behelmten kleinen Jungen im London des Kriegsjahres 1940 zutage, der Zwiesprache mit Cartier-Bressons Buben aus dem Paris der 50er Jahren zu halten scheint, der selbstbewußt mit zwei großen Flaschen unterm Arm die Straße überquert. Cartier-Bresson indes wird mit Fotografien aus Indien von Eve Arnold vorgestellt. „Er versetzte einen über die bloße Bildanalyse hinaus in eine Welt, in der man das Undenkbare denken konnte, eine Welt, die einen befreite“, schreibt Arnold über die Wirkung seiner Bilder. „Die Fähigkeit visuell nicht vorhandenes wiederzugeben ist oft Kennzeichen eines großen Fotografen“, scheint David Hurn Arnolds Überlegungen fortzusetzen. Ein solcher Fotograf zeige nicht das Geschehen selbst, sondern das, was am Rande passiere. Im Zentrum der Ereignisse zu stehen und zugleich den Blick von außen auf das Geschehen zu richten, darin besteht die Kunst der Straßen- und Ereignisfotografen. Einer der Großen der Antikriegsfotografie, Philip Jones Griffiths, verweist lapidar auf „die alte Fotografenweisheit: Blende 8 und zur Stelle sein“. „(…) Fotos sind Teil meiner Erinnerung und meiner Wirklichkeit geworden, obwohl sie entstanden sind, bevor ich auf die Welt kam“, schreibt Chien Chi Chang über Bruce Davidson und damit auch über den Einfluss des Mediums und die Verantwortung des Fotografen.

Der Fotografieband „Magnum Magnum“ lässt sich auf vielfältige Weise lesen: als Kompendium, als visuelles und mit Worten geführtes Gespräch der Fotografen untereinander, als Entdeckungsfahrt zu weniger bekannten Fotografen, als ergreifendes Bekenntnis zur Anteilnahme. Marilyn Silverstone, die nach einem bewegten Leben als Fotografin Nonne in einem buddhistischen Kloster in Kathmandu wurde, formulierte aber auch die Übung in Bescheidenheit, die den guten Fotografen ausmacht: „Das Geheimnis ist, dass man unermüdlich durchs Leben gehen sollte, ohne es zu sehr zu analysieren oder zu sehr an ihm zu hängen. Einfach weitergehen.“

Magnum Magnum. 564 S., 414 Abb. Schirmer/Mosel München 2007, 149.80 €
zuerst erschienen: Büchermarkt Deutschlandfunk Sendung 03.03.2008