Shot in the Dark – Bilder von blinden Fotografen

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Zunächst herrscht Verwunderung, ja Irritation, vor allem bei Menschen, die sich nicht professionell mit Bildern befassen: Blinde Fotograf*innen – ist das nicht ein vollkommen absurdes Unterfangen? Spät erblindete oder stark sehbehinderte Maler, die hochgeschätzt weiterarbeiten, sind in der Kunstgeschichte keine Seltenheit.

© Bruce Hall

Anders verhält es sich bei der Fotografie: Die Wahrnehmung des Blinden und seine Umsetzung innerer Bilder und gefühlter Raumwahrnehmung in ein zweidimensionales fotografisches Bild, das nach ästhetischen Kriterien betrachtet werden will, spitzt die Frage nach dem Akt des Fotografierens aufs Äußerste zu.

Ist Sehen die Voraussetzung, um in einem explizit visuellen Medium zu arbeiten, dessen Kunststatus immer wieder auch damit begründet wurde, dass der Fotograf beim Blick durch die Kamera, bei der Komposition und in der Wahl des Standortes weitgehend das Bildergebnis bestimmt? Sieht man indes selbst das Geschehen vor der Kamera gar nicht, kann man obendrein das Ergebnis der eigenen Arbeit nicht einmal in Augenschein nehmen, welche Aussagen können dann überhaupt gezielt mit dem Medium transportiert werden? Ganz erstaunliche, an den Kern des Empfindens rührende Botschaften – jedenfalls wenn es sich um so reflektiert wie konzise arbeitende Fotografen wie Bruce Hall, Pete Eckert und Sonia Soberats handelt. Frank Amann hat als Regisseur und Kameramann die drei amerikanischen Künstler*innen bei der Entstehung ihrer Werke begleitet. In seinem berührenden, einen eigenen Rhythmus entwickelnden, stellenweise überwältigenden Film „Shot in the dark“, dessen Klangqualitäten für Sehende wie Nicht Sehende einen zusätzlichen Raum eröffnen, begegnen wir den Akteuren bei der Arbeit. Pete Eckert erleben wir beim „Bauen“ von Fotografien mit Hilfe von Mehrfachbelichtungen und optischen Berechnungen, Sonia Soberats, die Grand Old Dame mit lateinamerikanischen Wurzeln, beim bühnenhaften Inszenieren eines optisch opulenten Ambientes. Schließlich werden wir Zeuge eine Aufnahmesituation mit Bruce Hall, der seine beiden Teenager fotografiert

© Bruce Hall

und es versteht am richtigen Punkt, die Kontrolle über das Geschehen an die Kamera abzugeben, auch innerlich „loszulassen“ wie er das nennt. Bewegende Lebensgeschichten verbergen sich hinter den Bildern dieser Fotografen. Vorrangig aber bleibt, was sie uns mit ihren so sorgfältig erstellen Bildern schenken: Botschaften aus der Welt der Blinden, die sie, wie Pete Eckert es sehr poetisch zu formulieren weiß, „unter der Tür hindurchschieben, damit die Sehenden sie betrachten können“.

© Pete Eckert

In der Berliner Brotfabrik und danach in Hamburg sind begleitend zum Film auch die Prints der Fotografien zu sehen, welche die Künstler im Rahmen der Zusammenarbeit mit Frank Amann während der Dreharbeiten angefertigt haben. Die Themen rühren an Raumerfahrungen, für die Blinde andere Parametern als Sehende fruchtbar machen (zum Beispiel die Einschätzung von Abständen über den Schall oder Feinheiten des Tastens) und für die eine eigene Bildsprache gefunden wird.

© Pete Eckert

Bei Pete Eckert und Sonia Soberats mutet das für den sehenden Betrachter wie ein heimlicher Blick in eine uns verborgen bleibende Welt an, die doch die unsrige ist. Auf den Aufnahmen von Pete Eckert werden wir mit der Raumerfahrung in der Bewegung konfrontiert, die ein zweidimensionales Bild so nicht erfassen kann: Mehrfachbelichtungen erschaffen die menschliche Figur als Zusammenspiel von Intensitäten im Raum. Dazu werden Bewegungsabläufe übereinander geschichtet, es entsteht eine Art Lichtrelief, welches das Bild durchzuckt. Man könnte Aufnahmen wie „electric man“ oder „track man“ fast als kubistisches Arbeiten bezeichnen. Sie zeigen uns deutlich, wie sehr wir beim Betrachten von Bildern auf Erlerntes zurückgreifen. Auch wenn es schon über hundert Jahre her ist, dass kubistische Malerei unsere Sehgewohnheiten in Frage stellte, auf fotografischen Aufnahmen irritieren uns von körperlichem Empfinden ausgehende Bilder anstelle von strikt zentralperspektivischer Darstellung noch immer. Bei Fotografien, die in sakralen Räumen entstanden sind, zum Beispiel bei Gottesdiensten (Eckert) spielt noch etwas Zusätzliches hinein: Wir haben das Gefühl etwas zu sehen, was wir nur auf diesen Aufnahmen zu sehen bekommen, und was so nicht für unser Auge bestimmt war. Sonia Soberats führt uns noch ein Stück weiter zu unseren Ängsten und Wünschen. Sie schafft in wohldurchdachten Inszenierungen Porträts, die mit aufwühlenden Assoziationen arbeiten. Auch hier ist Licht und Bewegung das Agens: Sie umfährt mit farbigen Lichtquellen Silhouette und Körper einer Person (oder ist selbst das Modell), wie zur Frühzeit des Mediums muss während der Dauer der Langzeitbelichtung stillgehalten werden. Kreise und Linien durchfurchen das so entstandene Bild, während die Menschen auratisch in ihrer Haltung erstarrt sind. Das mutet wie eine archaische Botschaft an, welche auf ineinander greifenden Gegensätzen aufbaut. Wieviel konzeptionelle Vorarbeit für solche Bilder erforderlich ist, die eben nicht nach einer Methode angefertigt sind, sondern als Visualisierung innerer Abläufe dienen, das sieht man den Bildern an, das zeigt aber auch Amanns Film. Soberats liebt Arien von Caruso, die Oper – sie hat ihre beiden erwachsenen Kinder verloren, ist danach erblindet und entwickelt in ihrer Kunst Kräfte, die den zuckenden Schmerz überstrahlen. Wenn auch auf ganz andere Lösungen kommend, bietet Bruce Hall mit seinen Bildern ebenfalls dem Schicksal die Stirn. Er kommt von der Unterwasserfotografie und nimmt seine beiden geliebten Söhne, die beide Autisten sind, beim Herumtollen im Wasser auf. Die Kamera wird von den Wasserstrahlen getroffen, die Belichtungszeit ist sehr kurz. In den Wassertropfen bricht sich das Licht, wir begegnen energiegeladenen Jungen, an der Schwelle zum Erwachsenwerden, die unbefangen in ihrem Element sind. Auch hier sehen wir Splitter, nicht das gewohnte Zusammenspiel der Ordnung von Raum und Zeit. Aber durch diese Splitter erkennen wir auf den Bildern eine haptische und körperbezogene Wahrnehmung, die sich wie ein Kaleidoskop aus vielen Eigenschaften der Erfahrung des Elementes Wassers zusammensetzt. Die Fotografie – der stark sehbehinderte Hall kann mit seinem Sehrest auf einem hochauflösenden Bildschirm den Ausdruck der Gesichter seiner Jungen erkennen – schafft es uns vorzuführen, was der Begriff Wasser so nicht zu leisten vermag. Die Mutter der beiden Jungen bringt das auf den Punkt, wenn sie vom Verlust des ursprünglichen Staunens angesichts der Vielfalt der sinnlichen Eindrücke berichtet, das die Aufnahmen der Blinden in ihre Schönheit uns für kurze Zeit wieder zurückbringen.

Hamburg Zentralbibliotek, Hühnerposten 1 (Eingang: Arno-Schmidt-Platz)
20097 Hamburg 28.02. bis 08.03.17

zuerst erschienen in: Photonews 3/17 März 2017