Verantwortung in der künstlerischen Fotografie

Im vorigen Jahrhundert wurde von abstrakt arbeitenden Künstlern wie Kandinsky, Malewitsch und später dann Barnett Newman intensiv über Freiheit und Verantwortung des Künstlers nachgedacht. Man griff mit seiner Wortwahl nach den Sternen, fühlte sich Gott oder dem Kosmos nahe, oder zumindest der reinen Empfindung – und all das, weil man sich in seinen Bildern nicht länger auf klar zu erkennende Gegenstände beziehen wollte, sondern Anderes mitzuteilen hatte. Fotografen hingegen besannen sich mit den Überlegungen zur reinen Fotografie auf die Vorzüge des Mediums, von dem man zu Beginn ja dachte, dass nicht Gott, aber doch die Natur in Gestalt der Sonne neben der Technik den Löwenanteil am Zustandekommen des fotografischen Bildes einnehmen würde. Und gleichzeitig reklamierte man eine Erkenntnis für sich, die sehr weltlich orientiert ist, sich sozusagen in den Niederungen des gesellschaftlichen Handelns bewegt, aber zugleich auch eine große, ja heroische Geste impliziert: Jeder Fleck in einer Stadt sei ein Tatort und Aufgabe des Fotografen wäre es, bei seinen Aufnahmen die Schuldigen zu benennen, so formulierte es Walter Benjamin 1931.

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Vom Industrie-Moloch zur Kulturlandschaft – Das Ruhrgebiet

Das Ruhrgebiet hat sich mit viel Fantasie und ungewöhnlichen Lösungen binnen weniger Jahrzehnte ein neues Gesicht gegeben. Eine Umgestaltung der Landschaft im Revier reicht von der Rekultivierung der Emscher, der einstigen Kloake des Ruhrgebiets, über begrünte Halden bis hin zu Erlebnisparks oder Industrie-Museen in architektonisch eindrucksvollen Industrieanlagen. Wie wurde dieser Wandel bewältigt, was waren die architektonischen Probleme und Herausforderungen, wie sahen die Leitideen aus?

Mein Essay

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Stadtentwicklung Frankfurt. Kann man Banken lieben?

46Frankfurt am Main zählte vor dem Zweiten Weltkrieg zu den schönsten Städten in Deutschland: Eine mittelalterliche Altstadt mit spitzgiebligen Dächern und Gründerzeitquartiere prägten das Stadtbild. Heute verbindet man mit Frankfurt die wachsende, himmelstürmende Skyline und begreift die Stadt als durch und durch modern. Kriegsschäden und die achtlose Abrisspolitik der Nachkriegsjahrzehnte ließen nur noch wenige historische Bauten übrig. Hierin teilt Frankfurt das Schicksal vieler anderer deutscher Städte.

Ältere Frankfurterinnen und Frankfurter müssen auf ferne Kindheitserinnerungen zurückgreifen, um sich an den Vorkriegszustand des in Trümmer gelegten Altstadtviertels zu erinnern. Jüngeren Stadtbewohnern und Besuchern Frankfurts steht neben überlieferten historischen Fotografien ein idyllisch anmutendes Stadtmodell der Brüder Treuner im Maßstab 1:200 zur Ansicht. Es wurde vor dem Krieg begonnen, aber erst danach fertiggestellt und befindet sich im Besitz des Historischen Museums.

Vor einigen Jahren setzte ein sehr zeitspezifisches Revival des verlorenen historischen Zentrums ein. Weiterlesen

Spannend wie eine Detektivgeschichte: Das erste Buch zur Fotografie im Jahre 1844

42-7560 ZeichenKein anderes Buch in der Geschichte des Mediums war einflussreicher als Wilhelm Henry Fox Talbots rund 120 Seiten umfassende Foto-Buch „The Pencil of Nature“. Mit der Bedeutung der Gutenberg-Bibel für den Druck vergleicht Beaumont Newhall in seiner Einführung das Gewicht von Talbots Werk im Hinblick auf die Fotografie, vom „ersten Buch über die ästhetische Erfahrung der Fotografie“ spricht Hubertus von Amelunxen. Der gleichermaßen mathematisch-naturwissenschaftlich wie philologisch gebildete Fotopionier und Altertumsforscher Talbot vertrieb das mit 24 eingeklebten Kalotypien aufwändig produzierte Buch in einer überschaubaren Auflage an Subskribenten.

Talbots im Arabesken-Stil des 19. Jahrhunderts anmutig gestaltetes Buch ist zwar nicht das erste Buch, das mit durch fotografische Verfahren entstandenen Bildern illustriert ist – dieses Verdienst kommt nach derzeitigem Kenntnisstand einer Frau zu, Anna Atkins, die Fotogramme von Pflanzen für das (nicht kommerziell vertriebene) Album „British Algae, Cyanotype Impressions“ bereits 1843/44 erstellte. Aber es ist die erste Einführung in Chancen und Grenzen des neuen Mediums von einem der zahlreichen, um Anerkennung konkurrierenden „Vätern“ des Mediums selbst, souverän und im Bildteil mit kriminologischer Verve erzählt. Weiterlesen

World of Malls im Wandel

Fügen Shopping Malls dem sozialen Leben eine weitere Option hinzu oder ziehen sie unweigerlich die Zerstörung unserer Innenstädte nach sich? Gehören sie zur Stadt oder sind sie nur ein glitzerndes Trugbild ehemals vorhandener städtischer Öffentlichkeit? Eine Neuorientierung beginnt sich abzuzeichnen.

Der Bau einer neuen Shopping Mall im Stadtzentrum ruft spätestens nachdem das kommerziell erfolgreiche Centro im krisengebeutelten Oberhausen zu einer sichtbaren und kaum wieder gutzumachenden Verödung der Innenstadt geführt hat, besorgte Anwohner, aber auch Stadtentwickler auf den Plan. Dialog ist durchaus in europäischen Planungsverfahren vorgesehen: Das Spektrum reicht in Deutschland von der frühzeitigen Einbindung per Bürgerbeteiligung in Köln-Ehrenfeld, wo schließlich statt eines vom Investoren geplanten Einkaufszentrums eine Schule auf Vorschlag der Stadt gebaut werden soll, bis hin zur Bürgerbefragung im italienischen Bozen. Hier soll ein städtebaulich ins Hintertreffen geratenes Gelände am Bahnhof zugunsten eines Shopping Centers umgestaltet werden, ein bedeutender städtebaulicher Eingriff. Weiterlesen

Wo endet die Stadt, wo genau beginnt die Peripherie?

Im Heft EIKON 93 (International Magazine for Photography and Media Art), erschienen in Februar 2016, stehen „Betrachtungen zur Peripherie“ im Fokus.

Wo endet die Stadt und wo genau beginnt die Peripherie? Inzwischen tragen nicht mehr zum historischen Zentrum zählende oder zu bürgerlichen Quartieren mit älterer Bausubstanz gehörende Wohnbezirke viele Namen: Im deutschsprachigen Sprachraum ist die Rede vom Stadtrand, von Agglomeration, Siedlung, Zwischenstadt oder Vorort. Häufig sind diese Vorstädte oder in der Stadt sich ausbreitenden Bereiche, die beiläufig bewohnt werden, selbst wenn man eine lange Zeitspanne seines Lebens dort verbringen sollte, mit dem Vorzeichen des Austauschbaren und Banalen versehen. Schon nach einiger Zeit kann ihnen das Verdikt des sozialen Abstiegs, oder gar der Ruf des sozialen Brennpunkts anhaften. Solche Gegenden sind indes durchaus ein Thema für Fotografen.

Der von mir kuratierte Beitrag stellt einige neuere Arbeiten von Fotografen vor, die sich damit auseinander setzen (Daniel Stemmrich, Jean Claude Mouton, Joachim Schumacher, Daniel Müller Jansen, Margherita Spiluttini, Robert Harding Pittman, Joachim Hildebrand und Gerhard Vormwald).

Kontinuität der Irritation

20Aller technischen Innovation zum Trotz wirkt die Fotografie unserer Tage wie aus einer anderen Zeit

Historische Techniken und Darstellungsformen in zeitgenössischer Fotografie reflektieren die Geschichte der Fotografie und verweisen auf das verstörende Potenzial des scheinbar so objektiven Mediums.

Bereits als relativ junges Medium hat die Fotografie ihre eigene Geschichte in den Blick genommen. Der «Nebel der Frühzeit», der nach Benjamin über dem Beginn fotografischer Tätigkeit ausgebreitet liegt, weckt, wie Wolfgang Kemp in einem Essay bemerkt, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts das Interesse der Fotografen an der Historie ihres eigenen, gerade erst den Kinderschuhen entwachsenen Mediums. Der Mythos des Anfangs lässt sich für die Fotografie nicht auf eine einzige Erzählung zurückführen. Er verzweigt sich in viele Geschichten, enthält liegengelassene, von der Entwicklung überholte, aber auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffene technische Verfahren. Weiterlesen

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Kühne Elementarlehren. Die digitalen (Gegen-) Welten der Fotografie.

22„Im Dämmern der Orte gibt es Türen zum Unendlichen, die schlecht schließen“, schreibt Louis Aragon in den 20er Jahren angesichts der zum Abriss bestimmten „Passage de l’Opéra“ in Paris und der dort zum Kauf feil gebotenen Gegenstände. Aragon hatte die im Verschwinden begriffenen Umschlagplätze von Waren und Träumen, die vor Ort zu findenden Plakate und Schilder noch selbst in Augenschein genommen und sie in „Le Paysan de Paris“ zum Ausgangspunkt seiner surrealen, literarischen Phantasien werden lassen.

In Werbung und Kunst unserer heutigen Konsumkultur sind es zunehmend digital modulierte Fotografien die den Zugang zu solch einer anderen Welt versprechen. Mit der Digital- oder einer traditionellen Kamera aufgenommen entstehen auf der Grundlage fotografischer Arbeiten digital geklärte, aseptische Gegenwelten und penibel konstruierte Modellräume. In ihrer Gleichförmigkeit übersteigen sie noch die Erfahrung alltäglicher Banalität. Der „Sinn für alles Gleichartige auf der Welt“, den Walter Benjamin seinen Zeitgenossen bescheinigt hat, findet hier in sich wiederholenden Formen und Pattern sein Betätigungsfeld. Mit digitaler „Hand“ geglättete Häuserfronten und Naturansichten zeigen eine Makellosigkeit, in der zwischen Perfektion und Langeweile nur ein kleiner Schritt liegt.
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„Träume von zeitloser Schönheit“. Logbücher für Begegnungen jenseits von Zeit und Raum

40Träume von zeitloser Schönheit.
Noch heute – in Zeiten elektronischer Bildbearbeitung – scheint von Porträts, die eine geliebte oder öffentlich bekannte Person abbilden, eine magische Bildwirkung auszugehen. Bis ins neunzehnte Jahrhundert erfüllten in erster Linie repräsentative Gemälde aber auch private Zeichnungen den Wunsch nach illusionistischer Wiedergabe des menschlichen Antlitzes. In der modernen Memorialkultur haben Fotografien ihren Platz eingenommen.

Wie zuvor das gemalte Bildnis der fernen Geliebten, das schützende Amulett, halten heute die Jugendfotographie des Partners im Portemonnaie oder ein aktuelles Starposter Träume von zeitloser Schönheit fest. Stets verspricht ein solches Bild mehr zu sein als das detailgetreue Abbild einer Person auf einem beschichteten Stück Papier. Aber gerade, wenn die Darstellung des Porträtierten wie aus dem Leben gegriffen zu sein scheint, verharrt das Bildnis in einem eigentümlichen Schwebezustand. Es gehört einem Niemandsland an, das seinen Ort sowohl im Hier und Jetzt als auch in der Vergangenheit einnimmt. Fotografische oder digitalisierte Aufnahmen wirken im öffentlichen Raum an einem visuellen Logbuch mit, das im Starkult des Medienzeitalters mit privaten Erinnerungen durchmischt wird. Fotos der Stars von gestern – von Elvis bis Che Guevara, von Kennedy bis Lady Di – bestücken ein imaginäres Bilder-Museum. Und ebenso wie populäre Musikstücke oder Gerüche lösen sie leise Wehmut aus, wenn man ihnen zu einem späteren Zeitpunkt wieder gegenüber steht: Anflüge eines längst vergessen geglaubten Lebensgefühls scheinen aus der Erinnerung aufzusteigen.
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