Schwindelerregende Steilvorlagen

Gustave Caillebotte und die Fotografie – eine Ausstellung in der Schirn Frankfurt

Der erst spät wiederentdeckte Impressionist Gustave Caillebotte, so verdeutlicht die Frankfurter Schirn, ist ein Maler der Moderne par excellence, der das neue Sehen im Zeitalter der Fotografie erschliesst.

Das lebensgrosse Bildnis eines melancholischen Flaneurs mit Spazierstock und Zylinder begrüsst den Besucher, der gerade die Treppen zu den Ausstellungsräumen emporgestiegen ist, vorbei an einer Museumsaufnahme von Thomas Struth, die frontal eine Strassenszene von Gustave Caillebotte (1848–1894) und deren spätere Betrachter in Rückenansicht zeigt. Wer Struths Museumsfotografien kennt, auf denen bunt gekleidete Museumsgänger in Dialog oder Konkurrenz zu den Bildern stehen, betritt lieber in gedeckter Kleidung die Räume. Weiterlesen

Ein verspieltes Auge

«Malerei in Fotografie – Strategien der Aneignung» – eine Ausstellung im Frankfurter Städel zeigt, wie sich die einst schwierige Beziehung von Malerei und Fotografie in eine gemeinsame Arbeit am für Museen geeigneten Bild verwandelt hat.

Fotografen wie Maler können mit einer «pluralen» Identität als Künstler, die sich auf Kunst- und Fotografiegeschichte ebenso wie auf Filmstills oder Werbebilder beziehen können, längst umgehen. Die Frage nach den Genres stellt sich im Zeitalter der Medienkunst weniger für Publikum und Künstler als vielmehr für Museumsleute: Gehört Fotografie in ein Traditionshaus für Malerei, in ein Museum für zeitgenössische Kunst, in eigens ausgewiesene Foto- oder Medienmuseen, und kann sie, je nach Umfeld, in das man sie stellt, jedes Mal anders gesehen werden?

Die Frankfurter Schau mit dem Titel «Malerei in Fotografie – Strategien der Aneignung» (kuratiert von Martin Engler und Carolin Köchling) wirft solche Fragen und Zusammenhänge zwar auf, Weiterlesen

Späte Offenbarung: Saul Leiters Farbfotografien

49Hüte, Schirme, Schuhe, Ausblicke auf Passanten durch angelaufene Fensterscheiben, wartende Limousinen: Bemerkenswert geschlossen ist der öffentliche und zugleich intim anmutende Kosmos, in den Saul Leiters Schwarz-Weiss und Farbfotografien einführen. Das äußere Erscheinungsbild und hastige Verhalten der Teilnehmer am öffentlichen Leben im New York der späten 40 er und 50 er Jahre wirkt auf den heutigen Betrachter reglementiert. Und doch: Durch Leiters Kamera gesehen, gestatten die kleinformatigen Schwarz-Weiß Prints mit ihren ungewöhnlichen Perspektiven und Bilddiagonalen einen geradezu intimen Einblick in die weltabgewandte Seite der Betriebsamkeit. Zu Fuß in den Straßenschluchten unterwegs bleibt doch jeder für sich. Eine Offenbarung sind Leiters frühe Farbfotografien: Sie verwandeln die Straßenszenen in reine Bilder, die jeder Zeitlichkeit enthoben zu sein scheinen. Sein Rot, sei es ein lackiertes Autoblech oder durch Schnee und Regen flackernde Ampelfarbe, leuchtet mit selten gesehener Strahlkraft. Die Aufnahmen des winterlichen New York lösen indes fast romantische Sehnsüchte aus: Von Schneeflocken umtanzt könnten die Passanten allesamt auf dem Weg nach Hause sein. Saul Leiter scheint in seinen später vom Dia abgezogenen Farbprints noch um vieles mehr Maler zu sein als in seiner ebenfalls gezeigten abstrakt expressiven Malerei. Leiter hat bis Anfang der 80 er Jahre für Magazine wie „Harper’s Bazaar“ gearbeitet, reduziert in Szene gesetztes Straßentreiben dient auch als Prospekt seiner Modeaufnahmen. Eine anrührende Hommage hat Saul Leiter seiner Lebensgefährtin, der Malerin Soames Bantry, in einem kleinen, selbst kuratierten Kabinett gewidmet, es zeigt das Zwiegespräch der beiden in der Wahl der Sujets und Farben. Der Hamburger Retrospektive (kuratiert von Ingo Taubhorn und Brigitte Woischnik), die das spät rezipierte Werk des inzwischen 88 jährigen Künstlers erstmals nach Deutschland holt, gelingt es, den großen Bogen zu schlagen: vom Maler, als der sich Leiter zeitlebens verstanden hat zum großen Farbbildfotografen, dessen Werk noch weiter zu entdecken ist.

Ausstellung in den Deichtorhallen Haus der Photographie Hamburg bis 15. April 2012, Katalog 49 €

zuerst erschienen: Neue Zürcher Zeitung 17. März 2012

Hiroshi Sugimoto: Konzept und Imagination

24Die K20 Kunstsammlung in Düsseldorf zeigt eine Retrospektive des in den Vereinigten Staaten lebenden japanischen Fotografen Hiroshi Sugimoto – eine Reflexion über das sichtbare und das unsichtbare Bild.

Wie mit weit ausgebreiteten Armen empfängt und umschließt im Erdgeschoss der Düsseldorfer Ausstellungsräume des K20 Sugimotos großformatige Schwarz-Weiß-Folge mit Aufnahmen von der See den Betrachter. Eine Stellwand ist in sanftem Schwung in den ansonsten leeren Raum eingezogen, gezeigt werden 13 Ansichten von „Seascapes“: Wasser, Horizontlinie und Himmel, der scheinbar immer gleiche Ausschnitt in minimaler Variation, eisgrau bis metallisch glänzend – sonst nichts. Gerade diese Reduktion auf das Elementare, das die Begegnung mit dem Meer für den Landbewohner zu einer philosophischen Erfahrung werden lässt, überwältigt den Besucher. Muss er doch Altstadt und Verkehrslärm erst einmal hinter sich lassen, um sich mit Bildern zu beschäftigen, mit denen zum Gegenstand der Reflexion wird, was das Medium Fotografie seit je evoziert: das sichtbare und das unsichtbare Bild. Aufhellen und Verdunkeln, Aufblitzen und Verlöschen, Nachbildung und Modulation der Welt, das sind die großen, dialektisch ineinander verwobenen Themen, um die Sugimotos Bildserien kreisen. Weiterlesen