Im Schatten der Geschichte: Lee Miller

14Das surrealistische Paris und die Zusammenarbeit mit Man Ray prägten Lee Miller (1907–1977) als Fotografin. Ihre Berufung und ihr Trauma erfuhr sie im Zweiten Weltkrieg als Kriegskorrespondentin bei der US-Armee für Vogue. Jetzt werden ihre ausgezeichneten Künstlerporträts und kühnen Kompositionen wiederentdeckt.

Ein riesiger Schatten in Form eines Dreiecks dominiert das Bild. Dessen Spitze zeigt auf die – ihm wie zu Füßen liegende – besonnte Stadt. Kultiviertes Land erstreckt sich scheinbar ins Endlose, ein Horizont ist nicht zu sehen. Lee Millers «From the Top of the Great Pyramid» liegt eine kühne Komposition zugrunde: Das Schatten-Dreieck bildet eine dunkle, negative und doch transparente Form, die Prinzipien des Figurenaufbaus der klassischen Kompositionslehre in Erinnerung ruft. Das berühmte Foto entstand um 1937/38 während des fünfjährigen Ägypten-Aufenthaltes der Amerikanerin an der Seite ihres ersten Ehemanns, Aziz Eloui Bey – eines wohlhabenden, gegenüber Lees Eskapaden generösen Ingenieurs und Geschäftsmannes.
Millers Ägypten-Bild ist frei von den Orientalismen, die in der Fotografie wie in Literatur und Malerei eine lange Tradition haben und einen geografisch unbestimmten «Orient» als Projektionsfläche sinnlicher (Männer-)Fantasien schaffen. Der Schatten, den die Pyramide wirft, wird vor ihrer Kamera ein zwar geschichtsträchtiger, aber doch moderner Schatten. Millers Ägypten-Aufnahmen integrieren sich in die internationale Formensprache der Moderne – klare, puristische Formen, kraftvoll gesetzte Volumina, alles Überflüssige ist aus dem Bild verbannt. Über den Arbeiten scheint ein archaisch anmutendes Schweigen zu liegen. Persönlich erlebte Miller, die mit Freunden Expeditionen ins Landesinnere und Wüstenfahrten unternimmt und ansonsten ihre Zeit in Kairos mondänen Kreisen verbringt, die Zeit in Ägypten als einförmig. Das Land sei «just tombs, ruins, embalmed bodies, generations of people, dead people, doing exactly the same thing, in the same way». Weiterlesen

Blickwechsel – Zeitgenössische iranische Fotografie

15In der iranischen Gesellschaft kommt dem Blick eine besondere Bedeutung für die Kommunikation zu. Eine neue Generation von Fotografen interpretiert diesen auf ganze eigene Weise.

Vier junge Leute, ein schwarz gekleideter Mann und drei Frauen im Tschador, fahren gemeinsam auf einem viersitzigen Motorroller über Land. Die beiden Frauen in der Mitte sieht man als dunkle Silhouetten, nur eine hellhäutige, feine Hand hat eine Falte im Gewand der vorderen Beifahrerin ergriffen. Die Frau ganz hinten schaut direkt, aber ernst dem Betrachter entgegen, indes das Blickfeld des Fahrers in Fahrtrichtung vom Rahmen eines kleinen Sichtfensters im Windschutz bestimmt wird. Mit dieser Schwarz-Weiss-Fotografie von Abbas setzt das Buch „Iranian Photography Now“ (Hatje Cantz, 2008) ein. Die Aufnahme könnte programmatisch die Ouvertüre zu einem Blickwechsel bilden, den diese Auswahl von Arbeiten iranischer Fotografen einläuten möchte. Denn dem Blick komme in der iranischen Gesellschaft eine besondere Funktion zu, schreibt die Herausgeberin Rose Issa im Vorwort, die Menschen kommunizierten vorwiegend mit den Augen. Es ist eine hoch entwickelte, raffinierte Blicksprache, in deren Dienst jetzt die Fotografie steht. 189 Werke von 10 Frauen und 26 Männern hat Issa zusammengestellt, ein durchaus passables Geschlechterverhältnis. Diese Fotografien von Künstlern, die im Iran oder im Ausland leben, sind hoch reflektiert, was den eigenen Standort und die sich durchdringenden Bilderkulturen angeht: Zueinander finden die persische Bildtradition, Bruchstücke der globalisierten Bildsprache der Medien, eine grosse Liebe für im Verschwinden begriffene Sozialräume des Landes sowie ein Witz, der dem westlichen Betrachter oft erst durch die Statements und Kommentare der Fotografen nähergebracht wird.
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