Kontinuität der Irritation

20Aller technischen Innovation zum Trotz wirkt die Fotografie unserer Tage wie aus einer anderen Zeit

Historische Techniken und Darstellungsformen in zeitgenössischer Fotografie reflektieren die Geschichte der Fotografie und verweisen auf das verstörende Potenzial des scheinbar so objektiven Mediums.

Bereits als relativ junges Medium hat die Fotografie ihre eigene Geschichte in den Blick genommen. Der «Nebel der Frühzeit», der nach Benjamin über dem Beginn fotografischer Tätigkeit ausgebreitet liegt, weckt, wie Wolfgang Kemp in einem Essay bemerkt, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts das Interesse der Fotografen an der Historie ihres eigenen, gerade erst den Kinderschuhen entwachsenen Mediums. Der Mythos des Anfangs lässt sich für die Fotografie nicht auf eine einzige Erzählung zurückführen. Er verzweigt sich in viele Geschichten, enthält liegengelassene, von der Entwicklung überholte, aber auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffene technische Verfahren. Weiterlesen

Veröffentlicht unter Essays

Kontinuität der Dinge – Beatrice Minda: Innenwelt

21UPDATE mit weiteren Bildern
Die eigenen vier Wände, so vorläufig und bedroht sie von außen sein mögen, bilden das Gehäuse des Menschen, in dem Traditionen bewahrt, Ordnungen verteidigt, inmitten des Alltags ein Rahmen geschaffen wird für Lebensentwürfe und Träume, so bescheiden diese auch sein mögen. Beatrice Minda hat gute Stuben in Rumänien in sonntäglichem Licht fotografiert, Wohnungen von Landsleuten im französischen und deutschen Exil, aber auch Verschläge von rumänischen Arbeitsemigranten an der Peripherie von Paris.

Bunt gemixte Muster und Ornamente auf farbenprächtigen Teppichen und Tapeten, filigrane Deckchen und Handarbeiten überziehen die Wohnungen in Rumänien wie ein Gespinst, unterbrochen von Fotografien der Lieben, Ikonen und Gemälden. Schwergewichtige Restbestände bürgerlichen Mobiliars auf engstem Raum gepresst, peinlich genau Arrangiertes, hin und wieder Bücherstapel, eine mühsam geordnete Welt scheint in eine Zeitkapsel gepresst worden zu sein.

Beatrice Minda: Sambata, 2003


Weiterlesen

Kühne Elementarlehren. Die digitalen (Gegen-) Welten der Fotografie.

22„Im Dämmern der Orte gibt es Türen zum Unendlichen, die schlecht schließen“, schreibt Louis Aragon in den 20er Jahren angesichts der zum Abriss bestimmten „Passage de l’Opéra“ in Paris und der dort zum Kauf feil gebotenen Gegenstände. Aragon hatte die im Verschwinden begriffenen Umschlagplätze von Waren und Träumen, die vor Ort zu findenden Plakate und Schilder noch selbst in Augenschein genommen und sie in „Le Paysan de Paris“ zum Ausgangspunkt seiner surrealen, literarischen Phantasien werden lassen.

In Werbung und Kunst unserer heutigen Konsumkultur sind es zunehmend digital modulierte Fotografien die den Zugang zu solch einer anderen Welt versprechen. Mit der Digital- oder einer traditionellen Kamera aufgenommen entstehen auf der Grundlage fotografischer Arbeiten digital geklärte, aseptische Gegenwelten und penibel konstruierte Modellräume. In ihrer Gleichförmigkeit übersteigen sie noch die Erfahrung alltäglicher Banalität. Der „Sinn für alles Gleichartige auf der Welt“, den Walter Benjamin seinen Zeitgenossen bescheinigt hat, findet hier in sich wiederholenden Formen und Pattern sein Betätigungsfeld. Mit digitaler „Hand“ geglättete Häuserfronten und Naturansichten zeigen eine Makellosigkeit, in der zwischen Perfektion und Langeweile nur ein kleiner Schritt liegt.
Weiterlesen

Veröffentlicht unter Essays