Bewegte Nüchternheit – Laurenz Berges fotografiert verlassene Ortschaften

31Leerstehende Räume in einem dem Kohletagebau preisgegebenen Dorf, hin und wieder ein Blick auf eine wenig spektakuläre Landschaft im Rheinland – das ist das Sujet von Laurenz Berges‘ Fotografieband „Etzweiler“.

Wie fast alle Absolventen der Fotografieklasse Bernd Becher erweist er seinem Lehrmeister dadurch seine Referenz, dass er seine nüchterne Liebe zum Gegenstand teilt, wie karg auch immer dieser zunächst erscheinen mag. Mit seinem stärkenden Blick im Rücken entwickelt Berges eine distanzierte und doch bewegte Sicht auf die verlassenen Wohnstätten der Einwohner Etzweilers.

Eindringlich ist eine nur wenig variierte Anordnung. Fast die Hälfte der Fotografien zeigt eine kahle Wand, mit Raufaser tapeziert – das ist die traurige Variante – oder mit einer kühnen Tapete versehen: Blütenmuster auf schwarzem Grund, Trauerweide und Seerosen, Figürchen – das ist für sich schon anrührend. Lichtschalter und Steckdose wurden nicht abmoniert, ebenso wenig die Fußleisten. Ein Stück vom Boden, meist Teppichboden, hat gleichfalls überdauert, aber Kehricht, Glasscherben, Zigaretten, Federn machen sich breit. Die entblößten Wände werden zur Leinwand eines Heimkinos, das gelebtes und ungelebtes Leben dokumentiert. Deshalb wohl ist – außer zum Auftakt – nur selten ein Fenster zu sehen und wenn doch, dann mit heruntergelassener Jalousie. Erst ganz am Ende erscheint ein weiteres Fenster mit Ausblick, falls man das, was man da zu sehen bekommt (Sandhaufen, Hütten, Bogenlampen) so nennen möchte.

Dazwischen gibt es Einzelstudien mit freundlichem Blick für Materialien aus dem Baumarkt: Furnier, Pressspan, Sperrholz. Ein Foto zeigt eine Wand, an die all das zugleich genagelt wurde, Feuchtigkeit ist eingedrungen, Rosttöne dominieren. Ein liegengebliebener blauer Plastikdeckel, funkelt in diesem Ambiente in wasserresistenter Unverwüstlichkeit. Zum Höhepunkt der Ereignisse wird eine zurückgelassene Einbauschrankwand, Nussbaumimitat. Pittoresk sind diese Aufnahmen nie, stattdessen von geradezu heiterer Nüchternheit.

Ein poetischer Essay von Michael Lentz mit schönen ‚Bildern‘ und viel Gefühl leitet das Buch ein. Was der Fotograf sich bewusst versagt, inszeniert der Schriftsteller: Erinnerung, Heimweh, Entsagung. Es sei also empfohlen zuerst dem Fotografen zu folgen, danach dann dem Dichter zuzuhören.

 

Laurenz Berges: Etzweiler. Mit einem Text von Michael Lentz. Schirmer/Mosel Verlag, München 2005, 108 Seiten, 48 farbige Fotografien, 59.80 Euro
zuerst veröffentlicht: Süddeutsche Zeitung 21.07.2005